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Bernd Sawallisch

© privat

Nachruf auf Bernd Sawallisch: Jedes weist über sich hinaus

Er hatte ein Auge auf die Dinge, vom Turm bis in die Gruft

Stand:

Die St. Marienkirche, zwischen Berliner Dom und Fernsehturm gelegen, ist ein bescheidenes Gotteshaus und ein gastliches. „Komm’se mal mit!“, lud Bernd ein, der Hauswart des Herrn, und die Einladung galt jedem, der auf der Suche war und sich an die Regeln des Hauses hielt. Da durften sich die Obdachlosen im Winter aufwärmen, sofern sie auf Alkohol und Schnarchen verzichteten, und die Touristen im Sommer konnten auf Abkühlung hoffen, sofern sie sich an die Kleiderordnung hielten.

Vorbei am Wandgemälde in der Turmhalle, dem Totentanz, dessen Farben verblasst sind, betreten die Besucher die Kirche. Der Tod ereilt jeden, so die Botschaft des Gemäldes, lädt jeden zum Tanz, aber mächtiger noch ist Christus, der den Gläubigen die Auferstehung verspricht. Sofern in ihren Herzen noch Platz ist für Gott. Es sind nicht mehr viele Menschen, die in der Kirche beten. Aber Bernd unterschied nicht zwischen denen, die nur sitzen und staunen, die den Blick nach oben richten aufs Sterngewölbe, oder rückwärtig, auf die Orgel, die schönste Berlins. So empfand es zumindest Bernd, der alles in seiner St. Marienkirche liebte, schon seit seiner frühen Jugend.

Ergänzende erzieherische Maßnahmen

Er war ein Glückskind, vom Geburtstag her, Dreikönigstag, Fest der Erscheinung des Herrn, wobei sein himmlischer Vater stets zuverlässiger und verständnisvoller war als sein leiblicher. Also suchte er sich früh ein Zuhause, in dem er so sein konnte, wie er wollte. Mit 14 tat er das erste Mal Dienst in der Marienkirche als ehrenamtlicher Ordner beim Weihnachtsoratorium, 50 Jahre später wurde er mit einem goldenen Ring als Kirchwart verabschiedet.

Er liebte seinen Dienst, denn sein Gottvertrauen war grenzenlos. Das Vertrauen in die Menschen prinzipiell auch, aber da bedurfte es seiner Erfahrung nach nicht selten ergänzender erzieherischer Maßnahmen. Die konnte er in Form von Ermahnungen laut und leise vorbringen. Laut wurde er, wenn Menschen sich nicht zu benehmen wussten, da geschah es zuweilen, dass er angepöbelt oder gar angespuckt wurde. Was den Betreffenden selten gut bekam. Leise hingegen und eindringlich war er im Gespräch mit seinen Vorgesetzten, wenn es zum Wohl der Menschen oder der Kirche etwas zu organisieren galt.

„Komm’se mal mit!“, bat er dann den Pfarrer und führte ihn in die Sakristei, oder hinter den Altar, wo sein Schreibtisch stand, oder hinauf in die Küche. Dort hieß es dann: „Ham’se mal einen Moment? Können wir da nicht was machen?“ Und er zeigte auf ein Kunstwerk, das der Restaurierung bedurfte, oder nannte den Namen eines Menschen, der Hilfe brauchte.

Beim Gottesdienst saß er stets vorne links, auf einem Stuhl, nahe einem Grabmal, in sich versunken. Sein Glaube bewies sich im Tun, und wenn alles stimmig seinen Gang ging, dann war er glücklich. Wenn die Glocken läuteten, wie sie sollten, die Kerzen dort standen, wo sie hell leuchteten und auf dem Büchertisch alles penibel gerichtet war. Bernd hatte ein Auge auf die Dinge, vom Turm bis in die Gruft, weil in ihrer harmonischen Anordnung das Wirken Gottes sich offenbart und der Schönheitssinn des Kirchwarts, dem nichts entging. Er nahm selbst Maß für die Amtskleider der Würdenträger, und er tat das mit einer so großen Geschicklichkeit, dass er zum Gewandmeister des Kirchenbezirks Mitte ernannt wurde.

Auch er selbst war eine gepflegte Erscheinung, der Bart akkurat getrimmt, die Haare fein frisiert. Er achtete sehr auf seine Kleidung, trug gern die Albe beziehungsweise das Rochett während des Dienstes am Altar, feierliche Gewänder für einen feierlichen Dienst. Dessen Ablauf stets ein ordentlicher blieb, weil er vorab alles so gerichtet hatte, wie es der Pastor vorzufinden hoffte. Die Blumenarrangements waren frisch gesteckt, und bei der Wahl der Blumen war stets auch ein leitender Gedanke im Spiel. Denn jedes Ding weist über sich hinaus, sofern es am rechten Platz eingesetzt wird.

Ein Ort, wo er sich seiner selbst nie hatte schämen müssen

Das kostbare Kirchengerät, das beim Abendmahl zum Einsatz kommt, der Kelch samt Löffel, die Kanne, die Hostienschale, das alles zu polieren und im jeweiligen Glanz zu erhalten, dient ja nicht zur Schaustellung des Prunks, sondern zur Ehre Gottes. Dem zu dienen, eine Ehre ist, ob als Protestant oder Katholik. Bernd hatte da keine Berührungsängste, zumal seine Kenntnisse die Anwendung und Pflege der heiligen Gefäße betreffend von überkonfessionellem Wert waren.

Jedes Jahr im Sommer fuhr er in den Marien-Wallfahrtsort Kevelaer, wo er aushalf, auf dass im Umgang mit Weihrauch, Myrrhe und allem Gerät ein Standard gehalten werde, der dem sakralen Wert entsprach, zu Ehren der Mutter Gottes. In den Urlaub zog es ihn erst im Herbst oder im frühen Frühjahr, meist an die polnische Ostseeküste, denn er war ein Mensch der festen Gewohnheiten. Er aß gern Süßes, das brauchte er als Nervennahrung, er rauchte gern zum Kaffee eine Zigarette, und er trank gern viel Kaffee, denn es galt einen wachen Blick zu bewahren.

Die Marienkirche war sein Zuhause, denn sie war immer auch ein Ort gewesen, wo er sich seiner selbst nie hatte schämen müssen. So fand Bernd Selbstvertrauen – und sein Glück auch in der Liebe. Gemeinsam zog er mit seinem Mann in den 90er Jahren nach Steglitz, wo sie mit wechselnden Katzen 30 Jahre zusammenlebten.

Vor vier Jahren starb sein Gefährte und Bernd blieben nur noch die Katzen, die stets aus dem Tierheim stammten. Immer zwei nahm er zu sich, damit sie sich miteinander beschäftigen konnten, denn kein Wesen ist für die Einsamkeit gemacht. Ein Katzenumriss sollte auch seinen Grabstein zieren, aber ans Sterben dachte er eigentlich noch gar nicht. Er hatte nach seiner Pensionierung in der Marienkirche wieder eine Stelle als Kirchwart angenommen, denn ohne seine Arbeit war er unglücklich, aber Arbeit gibt es überall, im Himmel wie auf Erden. „Komm’se mal mit“, hat der liebe Gott gesagt, und in dem Fall ließ Bernd sich nicht lange bitten.

Er liebte seinen Dienst, denn sein Gottvertrauen war grenzenlos

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