zum Hauptinhalt
Brigitte Frerichs

© privat

Nachruf auf Brigitte Frerichs: Noch einmal neu loslaufen

Sie hätte natürlich gern eine schöne, ewige Ehe geführt. Dass daraus nichts wurde, war in Ordnung

Stand:

Sie gab den Rhythmus vor. Wir machen dies, wir machen jenes, na los. Nur in einem Punkt nicht. Zu dem sagte er: „Nein“. Du gehst nicht arbeiten. Du bleibst zu Hause, du ziehst die beiden Mädchen groß.

Er durfte „Nein“ sagen, bestimmt von höchster Stelle. In Paragraf 1356 Absatz 1 BGB stand: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Vielleicht wären die Dinge ja sogar miteinander vereinbar gewesen. Wesentlich aber für Rolf, den Neinsager, war die Schmach: Eine arbeitende Frau hätte in seiner Vorstellung (und jener vieler anderer Männer, und sicher auch einer Menge von Frauen) bedeutet, er verdiene nicht genug, um die Familie zu ernähren. Also nein.

Obwohl Brigitte ihr Leben längst selbst in die Hand genommen hatte, nach Diktatur und Krieg und Flucht aus Neustettin in Hinterpommern. Sie war nach dem Abitur für ein Jahr als Au-pair nach Edinburgh gegangen, hatte nach diesem Jahr mit ihrer Freundin noch ein wenig Großbritannien durchquert, von einer Jugendherberge zur anderen. Bis sie am 2. Juni 1953 in London gelandet war, einem sehr verregneten Tag, und die Krönung von Elisabeth II. unter drei Millionen Briten erlebt hatte, ganz nah dran während der königlichen Prozession. „Ich hätte Winston Churchill die Zigarre aus dem Mund nehmen können.“

Sie hatte dann in Germersheim, im Auslands- und Dolmetscherinstitut, Fremdsprachenkorrespondentin gelernt, hatte für die Geflüchtetenhilfe der Vereinten Nationen geholfen, während des Zweiten Weltkriegs verschleppte oder vertriebene Menschen zu finden, hatte in Hannover im Büro einer Werft gearbeitet.

Hausaufgaben auf der Treppe

Ihr Mann kam aus einer Bankiersfamilie, brach ein Jurastudium ab und begann, auf Vermittlung seines Vaters, in einer Bank zu arbeiten, was ihn jedoch nicht gerade glücklich stimmte. Brigitte bezeichnete den Charakter dieser Leute als kleinbürgerlich. Auch wenn es bei ihr zu Hause an Platz mangelte, in der kleinen Wohnung im Harz – die Hausaufgaben musste sie oft auf der Treppe erledigen – erschien ihr ihre Familie intellektuell deutlich reger. Ein unaufhörliches Kommen und Gehen der fünf Kinder, ihre Gespräche über alles und jedes, ihre Zukunftsträume.

Brigitte hatte den Eindruck, ihr Mann sei oft gelähmt von der geistigen Enge seiner Familie und sie musste sich in Acht nehmen, von dieser Enge nicht angesteckt zu werden, die ganz und gar nicht zu ihrem Naturell passte. Was die Eheleute verband, war ihre Naturbegeisterung, ihre Hinwendung zu den Bergen, zum Wandern, zum Klettern, zum Skifahren. Sie kam auf die Idee – wieder war sie diejenige der beiden, die dann auch die Initiative ergriff – nach Barsinghausen, 25 Kilometer südwestlich von Hannover zu ziehen, eine Stadt, in deren Zentrum damals noch Bauernhöfe lagen, geschmiegt an den Deister, einen Höhenzug, durch dessen Buchen- und Fichtenwälder man Stunden streifen konnte.

Und dennoch blieb da diese Differenz: Er war der Sportmensch, sie interessierte sich noch mehr als für den Sport für Sprachen. Er gab sich gern seinen Gefühlen hin, sie blieb unsentimental. Er trank, sie trennte sich. Konnte ihre Anspannung in dieser Zeit nicht immer gut zurückhalten, was wiederum Spannungen mit ihren Kindern erzeugte.

Sie hätte natürlich gern eine schöne, bis ins Alter hineinreichende Ehe geführt. Andererseits konnte sie jetzt noch einmal neu loslaufen. Konnte ihr eigenes Geld verdienen. Der Paragraf 1356, unter den sie sich einst gebeugt hatte, war erst 1977 geändert worden. Sie arbeitete in einem Reformhaus und danach in einem Seniorenstift, wo sie als Gesellschafterin der Tante von Otto Graf Lambsdorff fungierte. Sie war Sachbearbeiterin bei der Caritas und übernahm danach die Büroleitung im Niedersächsischen Landesverwaltungsamt. Und machte endlich ihren Führerschein.

Sie besuchte ab und an ihre Tochter Britta in Berlin. Ja, für kurze Aufenthalte gefiel ihr die Stadt, doch der Gestank der Abgase, nein! Sie überstand eine Brustkrebserkrankung, sie ließ sich die Hüfte operieren. Sie begann, über das Alter nachzudenken. Wo möchte ich leben? Allein in Barsinghausen? – Vielleicht doch Berlin. Was unter anderem für die Hauptstadt sprach, war ihr Umland, die Seen. Das Wasser hatte Brigitte in Barsinghausen immer vermisst, hatte es doch damals in Neustettin so sehr gemocht, im Sommer zu schwimmen, im Winter Schlittschuh zu laufen. In Berlin würde das alles wieder möglich sein. Sie war 73.

Also wurde der Umzug geplant. Eine neue Wohnung suchen, die alte aufgeben. Der Mietvertrag sollte unterschrieben werden. Und in diesem Moment bekam Brigitte einen ungeheuren Schreck. Will ich das wirklich? Sie legte sich aufs Sofa und behauptete, sich nicht mehr bewegen zu können. Es geht nicht, ich kann nicht. Britta sprach mit ihr. Brigitte blieb liegen. Brittas Mann, der Psychologie studiert hatte, sprach mit ihr. Und da erhob sie sich.

Sie schloss sich einer englischen Scrabble-Gruppe an. Sie spielte deutsches Scrabble mit Britta. Und Rummikub. Bei Rummikub konnte man plaudern, bei Scrabble musste man sich konzentrieren. Sie ging in die Mittagskonzerte der Philharmonie. Sie erfreute sich an den Museen. Sie besaß eine Jahreskarte für den Britzer und den Botanischen Garten. Sie kaufte sich ein Brandenburg-Ticket, stieg in einen Zug, fuhr bis zur Endstation und lief dann einfach los. Schwamm im Sommer jeden Morgen im Schlachtensee und im Winter zwei Mal pro Woche im Außenbecken der Therme des Europacenters. Sie spazierte jeden Tag mindestens eine Stunde strammen Schrittes durch den Park. Begleitete sie jemand ihres Alters, wurde sie ungeduldig, denn die Leute liefen ihr meist zu langsam.

Sie wurde krank. Wieder Krebs. Lag am Ende viel. Träumte sich in eine vergangene Realität, in der sie mit dem Auto durch die Gegend fuhr, in der sie in einem See schwamm. Sie lag da und sagte: „Ja, untätig war ich nicht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })