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Dieter Helmdach

© privat

Nachruf auf Dieter Helmdach: Der Mann gehört hierher

Auf der Straße trug er die farbigsten Jackets, auf der Arbeit war sein Outfit eher ölverschmiert

Stand:

An den Bäumen und Läden in der Bergmannstraße hängen bedruckte Blätter: „Spendenaufruf. Für die Bestattung von Herrn Dieter Helmdach, bekannt als ‚Herr Graf’, bitten wir um Ihre Unterstützung, liebe Nachbarn, Herrchen und Frauchen. Damit ‚der Graf’ seine letzte Ruhe hier in seinem Kiez finden kann, werden ca. 1300 Euro benötigt.“

Die Nachbarn, Herrchen und Frauchen zahlen tatsächlich, manche ein paar Münzen, andere mehrere Scheine. Selbst Leute, die gar nichts mit Berlin und dem Kreuzberger Viertel zu tun haben, außer, dass sie hier urlaubsweise durch die Straßen schlendern, sind von dem Aufruf bewegt und spenden.

Ohne die Aktion hätte Dieter eine Sozialbeerdigung bekommen, irgendwo in Pankow. Nein, sagten die Nachbarn entschieden, der Mann gehört hierher.

Dieter lebte seit seinem 17. Lebensjahr in der Bergmannstraße, er war eine Bergmannstraßenberühmheit. Dieter und seine Hunde, Charly, mit dem alles begann, danach Leusl, dann Buddy, der der beste von allen gewesen sein soll, zum Schluss Umbra. Dieter achtete ungemein auf sein Äußeres, trug flotte Jacketts in Burgunderrot oder mit gelben Streifen, dazu passend Weste und Schlips, Herr Graf eben. So ist er früher auch zur Arbeit gefahren, in die „Vulkanisieranstalt Emil Gaus“ oder zu „Reifen Müller“, um sich dort in die ölverschmierten Klamotten zu zwängen, die er nach Feierabend sofort wieder ablegte.

Die Sorgen seiner Mutter

Er schraubte schon immer gern an Autos herum, anfangs zusammen mit seinem Vater, einem Polizisten, der bereits mit 46 starb an einer seltenen Infektion. Er hatte in einem Preisausschreiben eine Reise nach Kenia gewonnen und sich dort das Virus eingefangen. Dieter blieb zurück mit seiner Mutter, die jetzt ihre ganze einengende Sorge dem Sohn zuteilwerden ließ. Die Idee mit den Anzügen kam von ihr. Allerdings sollten die Sachen eher farblos sein. Sie ging mit Dieter regelmäßig zum Herrenausstatter und schwelgte dort in den Grautönen.

Erst seine Ehefrau, die er 1981 kennenlernte und 1988 heiratete, konnte ihm die Tristesse ausreden. Sie selbst trug ungern Röcke, was Dieter schade fand, und so schlug sie ihm einen kleinen Handel vor: Schatzi, du lässt dich auf Kombis ein, oben bunt, unten schlicht, und ich zieh gelegentlich auch mal‘n Rock an. Dieters Mutter fand das schrecklich. Sie verhielt sich ein bisschen wie die sprichwörtliche Schwiegermutter, die ständig etwas zu mäkeln hat und überall dabei sein will. Selbst auf der Hochzeitsreise. Doch da platzte Dieters Frau der Kragen, das Paar fuhr allein ins Allgäu. Dieter richtete es dann so ein, dass er einmal im Jahr nur mit seiner Frau verreiste und einmal im Jahr mitsamt der Mutter, meist in die Berge, nach Bayern, nach Österreich, in die Schweiz.

Er hatte seine Frau über den Umweg ihrer Schwester kennengelernt. Die arbeitete als Wurst- und Fleischverkäuferin in Tempelhof, gegenüber von „Reifen Müller“. Dieter ging oft rüber in das Geschäft, um zum Frühstück belegte Brötchen für die Belegschaft zu kaufen. Er plauderte jeden Tag ein bisschen mit der Schwester, sie freundeten sich an und eines Morgens fragte er sie, ob sie nicht mal zusammen ins Kino gehen wollen, alles ganz ohne Hintergedanken. Ja, antwortete sie, aber kann ich meine Schwester mitbringen? Also ein Dreierfilmabend, aus dem sich eine Zweierbeziehung entwickelte.

Ein weinroter Chevrolet

Sie führten ein schönes, lustiges Leben in der Hinterhauswohnung in der Bergmannstraße, auch wenn Dieters Mutter, die im Vorderhaus residierte, erwartete, dass er jeden Abend zu ihr raufkam.

Sie fuhren sonntags in den Grunewald oder nach der Wende in den Spreewald. Sie besuchten einen Onkel und eine Tante in Westdeutschland oder einen anderen Onkel und eine andere Tante in Ost-Berlin. Meist in ziemlich schicken Autos, was auch so ein Spleen von Dieter war. Zu Beginn ihrer Beziehung besaß er einen weinroten Chevrolet, der aber im Unterhalt recht anspruchsvoll war. Allein eine neue Windschutzscheibe kostete 2000 DM. „Zum Glück“, sagt sie, „ging der Motor zügig kaputt.“

Was auch Anfang der 90er mit der Ehe geschah. Trotzdem entfernte seine Frau sich keinen Zentimeter von ihrer Überzeugung: Er war ein unglaublich netter Mann. Alle Bergmannstraßenbewohner sagen das. Irgendjemand deutete ein Problem an, und Dieter war zur Stelle: renovierte hier eine Wohnung, spannte dort Katzennetze auf dem Balkon, brachte einer kranken Frau Windbeutel, weil sie die so liebte. Er versorgte für eine Dame, während ihrer Urlaube, deren acht Tiere. Seine eigenen Hunde waren bereits alt, als er sie übernahm, sie sollten noch ein paar schöne letzte Jahre haben.

Er war, vor allem seit der Rente, ununterbrochen auf der Straße unterwegs, ging bestimmt sechs Mal am Tag mit seinem Hund runter, fuhr mit ihm in den Grunewald, lief die Bergmannstraße hinauf und hinab und durch die Seitenstraßen bis zum Chamissoplatz oder in ein Café gegenüber der Marheineke-Halle. Er kannte alle Läden, die es schon lange nicht mehr gibt, erzählte von dem Seifengeschäft, der Bäckerei „Krönert“, für die die Leute aus Steglitz angereist sind. Er erinnerte sich an das Gasthaus „Hermine Hölke“ und an die Palladium-Lichtspiele. Jedem Hund, den er unterwegs traf, gab er eine kleine Nascherei, sprach ihn bei seinem Namen an, wobei ihm der Name des Menschen am anderen Ende der Leine nicht immer einfallen wollte.

Er schleppte sich mit Herzproblemen und Diabetes herum, seine Ex-Frau kümmerte sich um ihn. Er erhielt im Januar die Diagnose Krebs, seine Ex-Frau kümmerte sich noch intensiver. Sie rief ihn früh am 13. April an, wollte fragen, was er sich zum Frühstück wünsche. Aber Dieter konnte nicht mehr ans Telefon gehen.

Das Geld für seine Bestattung ist innerhalb kürzester Zeit zusammen gekommen. Jetzt hängen wieder bedruckte Blätter an den Bäumen: Die Beisetzung findet am 12. Juni statt, um 11.30 Uhr, auf dem Friedrichswerderschen Friedhof II an der Bergmannstraße.

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