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Göran Hammer

© privat

Nachruf auf Göran Hammer: Ich bin da, wo vorn ist

Alles war möglich, so kam es ihm vor, warum an die Zeit denken, sie ist doch da, bis in alle Ewigkeit

Stand:

Tach! Das T explodiert. Das A und das Ch folgen nur noch verschwommen. Tach. Nicht Guten Tag, nicht Hallo, schon gar nicht Ich grüße Sie, auf keinen Fall, niemals, nicht auf Behörden, nicht in einem Sternerestaurant, immer nur und ausschließlich Tach, alles andere wäre für ihn bürgerlich gewesen. Ein Zugeständnis an ein herkömmliches, ein saturiertes Leben, das Göran mit unbedingtem Willen nicht führen wollte. Und dann irgendwann nicht mehr führen konnte. Kein Geld, die Gesundheit im Eimer. Er verstand sich, erst zu DDR- und dann zu wiedervereinigten Zeiten, als Oppositionsmann, als Kritikerkopf, der so vieles zerlegte, zergliederte, der dann ins Reden kam, sich hineinredete, bündig der Beginn, weitschweifig der Rest.

Man durfte zuhören, nein, man sollte zuhören, man sollte auch seinerseits etwas hinzufügen, mitdenken, wachen Geistes, ja, ja, sagte Göran, merk dir deine Sätze, wenn man seinerseits eine Kleinigkeit loswerden wollte, kommen wir gleich drauf, aber in seinem Sprechenthusiasmus, in den er sofort wieder geriet, entfiel ihm sein Versprechen.

Aber ein Schwätzer war er nicht. Schwatzhaft manchmal, aber kein Schwätzer. Kein Antistaatler, kein Medienablehner, kein Irrationalist. Er sagte oft den Namen Kant, obwohl seine Lektüre von dessen Büchern flüchtig genannt werden muss. Nichts ließ er auf die Vernunft kommen, die Vernunft bildete den Horizont, immer. Gemeinsam mit dem Spott.

Nun war die Sache die, dass seine Väter der politischen DDR-Spitze angehörten, der leibliche Vater, zu dem Göran keinen Kontakt hatte, war Jurist und verfasste Texte über die Strafprozessordnung, der Stiefvater war stellvertretender Postminister. Göran, ein Funktionärssohn.

Der Minister im Wasser

An einem frühen Sommertag fuhren er und ein Freund an einen Brandenburgischen See, wo er als Kind oft gewesen war. Sie standen auf einem Steg und schauten hinüber auf eine kleine Insel mit Fähranlegestelle und drei Datschen. Hier, sagte Göran, hat mir mein Stiefvater das Schwimmen beigebracht. Mit ihm sei ein anderer, ihm unbekannter Mann im Wasser gewesen, flankiert von einem grünen Ruderboot, in dem Boot zwei weitere Männer. Jener im Wasser ächzte schwerfällig. Die beiden im Boot behielten ihn fest im Blick. Wer ist der Mann, hatte Göran gefragt. Jemand, antwortete sein Postministerstiefvater, der nie schwimmen gelernt hat. Die zwei passen auf, dass er nicht ertrinkt. Tatsächlich handelte es sich um einen anderen Minister, der auf der Insel Urlaub machte und beschützt wurde. Vor dem Untergang. Göran grinste auf dem Steg, Jahrzehnte später. Angst vor der Staatsmacht? Er doch nicht.

Obwohl sein Stiefvater auch zu Hause, im Privaten, den ministerialen Despoten gab. Er verbot Göran, Leute, die es nicht so mit der DDR hatten, zu besuchen. Worauf Göran selbstverständlich pfiff, auch wenn es ihm um seine Mutter leidtat, die er mit seiner Aufsässigkeit ebenso vor den Kopf stieß. Er suchte sich neue Familien. Die eines Freundes etwa. Dessen Eltern hörten Jazz und die Doors, er konnte kommen und gehen, wann er wollte. Tach. Seinen 18. Geburtstag feierte er mit ihnen und keinem sonst: Er besorgte Karten für die „Kleine Revue“ neben dem Friedrichstadtpalast, absolute Bückware im Osten. Keiner der drei hatte auch nur das Geringste mit Varieté am Hut, aber sie saßen dort zu dritt an einem schmalen Tisch, der jungenhafte, blasse Göran und die beiden Erwachsenen, und waren gerührt.

Er machte eine Ausbildung zum Fernmeldemechaniker, er arbeitete beim Fernsehen der DDR, er ging zur Armee, ganze drei Jahre, Göran, Zivilist durch und durch, für den Kommandos eine persönliche Beleidigung darstellten. Aber er wollte nach Leipzig an eine Fachhochschule für Journalisten, also quälte er sich durch die 36 Monate. Er wollte filmen, schreiben, entdecken, aufdecken. Er wollte immer vorn sein. Lässigen Schritts in langen, spitzen Stiefeln. Tach. Er war doch keine gewöhnliche Person, die einfach so herumging und Geld verdiente und sich den Bauch vollschlug.

Du bist kein Student!

Die Fachhochschule, an der er sich beworben hatte, wurde nach der Wende aufgelöst. Also blieb er in Berlin. Was ja nicht ausschloss, ab und an mal in Leipzig vorbeizuschauen.

Ende 1990 protestierten dort Studenten der Karl-Marx-Universität gegen die Abwicklung der Sektion Journalistik. Die Studenten besetzten die Etage des Rektors, einige begannen einen Hungerstreik, eine Demonstration wurde vorbereitet. Göran hatte einen Freund an der Uni und wollte auf jeden Fall bei den Aktionen mitmachen. Er kam am Abend davor in Leipzig an, zog mit dem Freund ein bisschen um die Häuser. Dann, auf der Demonstration, verloren sich die beiden schnell aus den Augen. Als der Freund Göran wieder zu Gesicht bekam, lief der mit kämpferischer Geste in der ersten Reihe, übernahm für einen Teil der Wegstrecke sogar die Führung. Was hast du da zu suchen? Du bist kein Student, du hast nichts vorbereitet, kommst und machst einfach? Für Göran ergaben diese Fragen überhaupt keinen Sinn. Warum denn nicht? Ich bin da, wo vorn ist.

13 Jahre später eine andere Demo, diesmal ganz und gar Görans Idee. „War-Drive“, ein Protest gegen den Irakkrieg. Er organisierte einen LKW, hievte das Equipment auf die Ladefläche, Boxen, Beamer, dann rollte der Zug los, von der Pappelallee rüber in die Kastanienallee, weiter zum Rosenthaler Platz, den Alex und dann die Schönhauser zurück. Unterwegs wurden Filmbilder verschiedener Kriege an die Häuserfassaden projiziert, Göran vorneweg.

Er arbeitete in einer Festanstellung, damals schien ihm das noch möglich. War Chef vom Dienst in der Nachrichtenredaktion des ORB, dem Vorläufer des rbb. Das gab Struktur in einem tendenziell unstrukturierten Leben. Denn seine Lässigkeit begleitete auch immer eine Liederlichkeit. Innerlich hielt er nicht jene Ordnung, womit der auf die Zeit achtende Mensch ihren Ablauf beaufsichtigt, ihre Einheiten abteilt und zählt. Sie verschwammen, der Morgen, der Abend, die Nacht. Durch Berlin streifen, früh um drei in diesem versteckten Club auftauchen, um sich dann mittags, in gleißender Sommersonne, in jenem Café wiederzufinden. Ernüchterung war unerwünscht. Wobei gesagt werden muss, dass Görans Trunkenheit – oder sein Aufgeputschtsein, je nach Substanz – zumeist nicht gering und beschämend wirkte, ihn nicht in einen Entwürdigungszustand versetzte. Kein Torkeln, kein Zusammensacken in irgendeiner Ecke. Der Rausch stachelte ihn eher an: Noch eine Idee und noch eine, wortreich aus ihm hervorströmend, was die Leute um ihn auch mal an ihre nervlichen Grenzen brachte, das blieb nicht aus.

Rammstein im Stadtbad

Ende der Neunziger schien es ihm dann nicht mehr möglich, festangestellt zu arbeiten. Er wollte andere Sachen machen, Sachen, die sich, mehr oder weniger scharf umrissen, in seinem Kopf hin und her bewegten. Eine Langzeitdokumentation über den Potsdamer Platz eines befreundeten Regisseurs auf Festivals bringen, zum Beispiel. Drehbücher schreiben, Clubs gründen, Musik auflegen… Kündige nicht, sagten seine Freunde, die er allesamt befragte, denn ganz so sicher war er sich dann doch nicht. Aber letztlich ließ er sich nichts sagen und gab die Stelle auf. Er stieg aus aus dem Zug auf geradem Gleise, er schaute sich um, sah Weite, alles war möglich, so kam es ihm vor, warum an die Zeit denken, sie ist doch da, bis in alle Ewigkeit.

Er hörte vom Stadtbad Oderberger Straße in Prenzlauer Berg. Eine Bürgerinitiative hatte erreicht, den verfallenen Neorenaissancebau bis zur Wiedereröffnung kulturell zu nutzen. Göran hatte einen Freund, der bei dem Projekt mitmachte. Und dieser Freund wusste um Görans reiches Ideenmaterial. Wir tasten uns vor, sagte er, fangen erst mal klein an. Das Wort klein jedoch kam in Görans Wortschatz nicht vor. Es empörte ihn geradezu. Rammstein, sagte Göran, wir holen Rammstein für ein Konzert hier rein. Also mindestens für einen Videodreh. In großer Runde trug er vor, was ihm vorschwebte. Er redete sich hinein, druckreife Sätze vermischt mit sprachlichen Schludrigkeiten, so wie er es liebte. Er beschrieb das Schwimmbecken, das wieder geflutet wird, zu brachialen Klängen, die riesigen, verstaubten Kohleloren bewegten sich zu martialischem Gesang im hohen Heizungsgewölbe, die Öfen spieen Feuer im Rhythmus der Musik. Die Technik? Kein Problem. Produktionsfirma? Kameraleute? Stehen bereit. Aber Behördengänge und Brandschutz macht ihr.

Göran vorneweg, auf geht’s.

Gut, sagte der Freund. Doch womit fangen wir an? Göran: Na, zunächst mal müssen wir jemanden von Rammstein kennenlernen.

Es gab dann kein Rammsteinkonzert im Stadtbad und auch kein Video.

Er machte trotzdem weiter, erdachte tausend Dinge, manche funktionierten, wie etwa die Reihe von Elektro- und Housenächten in einem kleinen aber angesagten Berliner Club, DJ Hammer lässig am Pult, für ein paar Stunden auf der Überholspur. Die meisten Dinge aber funktionierten nicht. Es war immer ein bisschen was dran an seinen Einfällen, fast immer blieben sie ein Traum. Einen Film über Fidel Castro drehen, meine Güte, hat er den Leuten damit in den Ohren gelegen. Zumindest aber hatte er Ideen, vielleicht waren sie spinnert, doch auf eine Weise übernahm er damit die geheimen Spinnereien der anderen, derer, die es sich ein wenig zu sehr in ihrem Leben eingerichtet hatten. Was Göran den Leuten unter die Nase rieb, redegewandt wie immer.

Kuba. Er trug den Sound der Insel in sich. Der „Buena Vista Social Club“, entdeckt von ihm, bevor Wim Wenders ihn berühmt gemacht hat. Leichtes Wippen in den Hüften, eine dicke Cohiba zwischen den Fingern. Er buchte eine Schiffspassage auf die Insel, stand an der Reling, vornübergebeugt, sein Magen gab alles her, was er hatte, vom Rum oder vom Wellengang oder von beidem.

„Klar Alter, dit macht Musik nun mal so!“

Er legte sich diesen silbernen Koffer zu, randvoll mit Schallplatten, „seine ganz persönliche Bundeslade“, wie ein Freund schrieb. Und: „Er fand die Perlen, lange bevor sie Eingang in die Hitparaden fanden. Was dann jedoch nicht selten zum Erkalten seiner Liebe führte. Die Kommerzialisierung war seine rote Linie.“ Plötzlich kam er mit der neuen Scheibe von „Talk Talk“ an. „Talk Talk“? Achtzigerjahrekram! Der Freund legte die Platte auf, er hörte sie, hörte sie ein zweites Mal, ein drittes, immer aufgewühlter. Und Göran darauf: „Klar Alter, dit macht Musik nun mal so!“

Er schleppte seine Bundeslade durch die Gegend, durch die Nächte, durch die Tage, manche Substanzen lassen einen einfach nicht schlafen. Aber die Ausschweifung ist nie nur heiter. In einem Moment fühlte er sich höchst fidel, alles schien ein großes Fest, im nächsten verspürte er kolossale Angst. Selten sprach er darüber, und wenn, dann nur mit zwei, drei Sätzen. Er fürchtete, die Miete nicht mehr zahlen zu können (dafür stahl er ab und an zwei Piccolos „Veuve Clicquot“). Erst stapelten sich ungeöffnete Rechnungen, dann ungeöffnete Rechnungsmahnungen. Freunde halfen.

Er bekam Herzinfarkte, beim dritten landete er im Krankenhaus. In der Reha danach stand er oft in der Raucherecke, zusammen mit einem jungen Typen, der ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Lonsdale“ trug. Göran nahm den Typen sanft zur Seite: Du weißt schon, dass du da mit Neonazikram rumläufst? Der Typ kratzte sich verschüchtert an der Wange. Göran: Du gehst jetzt mal schön in dein Zimmer und ziehst dich um. Zur nächsten Rauchpause erschien der Typ in einem hübschen hellen Hemd.

Göran blieb trotz seiner Furcht rege im Kopf. War da, wenn man ihn brauchte. Konnte aufhören, sich hineinzureden. Stand dann einfach vor der Tür. Tach. Koch einen Kaffee. Entspann dich. Erzähl. Und dann erzählten die Leute, er stellte eine Frage und noch eine, woraufhin der Erzählende die Dinge neu betrachtete, so schnell entkam man ihm nicht, bloß keine Phrasen.

Aber er lebte immer mehr so in den Tag hinein, leierte innerlich ein wenig aus. Lag so rum. Verschlang Zeitmengen, oder die Zeitmengen verschlangen ihn. Er guckte auf die Uhr. Viertel nach zwei. Dann könnte man auch sagen, fast halb drei. Und da schon die Drei im Spiel ist, warum nicht aufrunden zur vollen Stunde. Wie rasch einerseits, wie zäh andererseits doch so ein Tag vergeht, eine Woche, ein Jahr, und man bewegt sich kaum. Er sprang nie wieder auf den Zug, aus dem er damals ausgestiegen war.

Verbat es sich zunehmend energisch, wenn andere bei ihm nach dem Rechten schauen wollten. Meldete sich bei niemandem mehr. Seine Freunde erreichten ihn nicht mehr, fragten herum: Weißt du, wo Göran steckt? Niemand wusste es. Es war kurz vor Weihnachten. Die Feuerwehr fand ihn in seiner Wohnung.

Niemand weiß, was passiert ist, eine Obduktion hat es nicht gegeben. Doch die wenigsten glauben an einen Suizid. Nein, sagen sie, dafür gab es noch viel zu viel zu sagen.

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