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Hans Strauch

© privat

Nachruf auf Hans Strauch: Vom Garten in den Garten

Mit einer Kaffeetasse am Küchentisch hat man ihn selten gesehen. Er trank seinen Kaffee am Beet.

Von David Ensikat

Stand:

Es gibt diese Häuser, die vor allem den Bewohnern der gegenüberliegenden Häuser ein schönes Leben bescheren. Denn wer sich in den schönsten Häusern aufhält, hat wenig von deren Außenansicht. Im Fall des Hauses Odenwaldstraße 9, Steglitz, hat das nicht so viel mit der (gar nicht üblen) Bausubstanz zu tun, als vielmehr mit den Pflanzen, die die Bausubstanz verdecken. Man muss auch nicht die Hausverwaltung preisen, sondern allein Hans Strauch. Auch wenn der in diesem Winter die Kübel mit den Rosen und den Engelstrompeten nicht mehr hereinholen und im nächsten Frühjahr die Beete nicht mehr jäten, säen und bepflanzen wird.

Nichts wird er mehr tun. Vor knapp fünf Jahren, als Marina, seine Frau, gestorben ist, hat er es ja selbst gesagt: In spätestens fünf Jahren komm‘ ich hinterher.

Im „Pop Inn“, einer Disko in der Ahornstraße, haben sie sich kennen gelernt, sie 16, er 20. Schlaghosen trug er, Schnauzer, lange Haare und Plateauschuhe. Was verwegener klingt, als er je war. Marina war die auf der Tanzfläche, er stand eher am Rand.

Sie wollte weg von zuhause, er kam mit seinen Eltern bestens klar. Sie suchte einen Anker, er hatte Halt, weshalb er auch Halt bot.

Er mit dem Eimer hinterher

Und so ging es ganz schnell. Sobald Marina von zuhause fortkam, zogen die beiden in eine kleine Wohnung in Friedenau, gleich um die Ecke von jener, in der Hans aufgewachsen war. Was nicht ganz und gar korrekt ist, denn aufgewachsen ist er mehr auf dem Südgelände der Reichsbahn. Dort besaßen seine Eltern einen Schrebergarten, wo man sich auch bei Wind und Wetter aufhielt. Für sieben Personen war die Wohnung nämlich etwas eng, ein Zimmer für die Eltern, eins für zwei Töchter, eins für drei Söhne, Hans der jüngste von ihnen.

Im Garten ging es Hans sowieso am besten, auch schon als Kind. Er lief seinem Vater mit dem Eimer hinterher und sammelte darin das Unkraut oder die Früchte, er bekam beizeiten sein eigenes Beet, und er sah, was man bewirken kann mit Arbeit und Geduld.

Welch Glück, dass man das Gärtnern zum Beruf machen kann! Nach der achten Klasse ging Hans zur Firma Pluta in Zehlendorf, bei der er bis zur Rente bleiben sollte. In der Lehre erfuhr er auch die lateinischen Namen der Pflanzen, er lernte, wie man nicht nur mit der Gießkanne wässert, wie man entwässert, wie man Wege und Treppen baut, wie wilde Natur kultivierte Landschaft wird.

Dass seine Fingernägel nicht immer einen kultivierten Eindruck machten, damit kam Marina zurecht, Hauptsache auf den Mann war mehr Verlass als auf ihre Eltern. Die Hochzeit geschah, bald wie auch die Geburt des ersten Sohnes. 1978 war das, dasselbe Jahr, in dem die Strauchs in die Odenwaldstraße 9 einzogen. In dem Haus war eine Wohnung mit zusätzlichem Zimmer fürs Kind frei. Sie befand sich zwar im Souterrain und war nicht sonderlich hell, aber es war die Hausmeisterwohnung mit fast keiner Miete, dafür der Pflicht, die Treppen sauber und die Installationen instand zu halten. Für Ersteres war Marina zuständig, fürs zweite Hans, nach Dienst.

Auf den ersten Sohn, Denny, folgte der zweite, Sammy, und schließlich die Tochter, Mandy. Und Hans – war ein Schlechtwettervater. Regnete oder schneite es nicht, war er ja draußen unterwegs, in allen möglichen Gärten der Stadt, zwischen Frühjahr und Herbst oft zwölf Stunden oder auch mehr. Wenn das nicht ging, bei Sturm oder Eiseskälte, hatten die Kinder etwas von ihm. Da das so selten war, freuten sie sich, und weil er, wenn er mal außer sich geriet, die Kinder damit durchaus beeindruckte, gaben sie ihm selten Grund, außer sich zu geraten.

Und ja, selbstverständlich gab es auch einen Schrebergarten, Tor an Tor mit dem von Hans‘ Eltern auf dem Südgelände. Kam er also von der Arbeit – aus irgendeinem Garten –, ging’s ab in den Garten, und wenn nicht in den eigenen, dann in den vorm oder hinterm Haus an der Odenwaldstraße. Mit einer Kaffeetasse am Küchentisch hat man ihn selten gesehen. Hans Strauch trank seinen Kaffee am Beet.

Das war’s nicht mehr für ihn

Dass er so viele Überstunden machte, lag nicht nur daran, dass ihm die Arbeit so gefiel. Marina hatte in einer Kaufrauschphase gut Schulden gemacht, eine regelrechte Katalogbestellsucht war das. Was blieb ihm da übrig, das Geld musste ja wieder rein. Den Kindern erzählten sie von der Misere, damit die lernten, dass man nur das raustun soll, was reinkommt.

Geld und Zeit für große Urlaube war nicht drin. Als Mandy zwei war, waren sie mal in der Türkei, als sie zehn war, bei Hans‘ Bruder in Nordhorn. Weil da Holland nebenan ist, haben sie dort kurz vorbeigeschaut.

Das Leben in der Odenwaldstraße war ja interessant genug. Hausmeister Hans kannte alle, die da wohnten, einige schütteten ihm regelrecht das Herz aus, er wusste über alles Bescheid und behielt, was er für sich behalten sollte, für sich. Weil er und Marina selbst Hunde hatten, immer schön große, konnte er auch den Nachbarstieren stets ein ein Stück Trockenfutter anbieten.

Vier Jahre lang war Marina krank, und Hans hat sie gepflegt. Ein Keim, den sie sich bei einer Operation eingefangen hatte. Dann ist sie gestorben, und er hat gesagt, dass er’s auch nicht mehr lange machen würde. War ja schon längst in Frührente, weil er sich den Rücken kaputtgeschuftet hatte. Dafür kümmerte er sich jetzt umso mehr um die Pflanzen vor dem Haus. Da hat er immer gehockt mit dem Gehstock neben sich und an den Beeten rumgemacht.

Aber das war’s nicht mehr für ihn, ein Leben mit so wenig Arbeit. Im letzten Mai war Mandy mit ihm nochmal im Botanischen Garten, er im Rollstuhl, und es hat gegossen. Vorher dachte er, er würde den Ausflug nicht schaffen; jetzt wollte er gar nicht mehr nachhause. Der Schlechtwettervater.

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