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Karl Koch

© privat

Nachruf auf Karl Koch: Radikal Karl!

Überall Absichten und Forderungen, tu dies, lass das. Dabei forderte niemand ihm soviel ab wie er sich selbst

Von David Ensikat

Stand:

Auf der Bühne war er mal der Hans im Glück. Man kann nicht sagen, dass Karl im Leben kein Glück hatte, sein Werdegang wirkt aber eher wie ein Gegenstück zur Hansgeschichte.

Karl hatte einen schweren Klumpen im Gepäck, als er von zuhause losgelaufen ist, doch aus Gold war der nicht. Er war auch nicht so beschaffen, dass Karl ihn hätte wegtauschen können. Wohin denn mit dem Misstrauen, dem Zorn, mit dem Gefühl, das, was ich habe, ist es nicht? Tausche Wut gegen Unbeschwertheit – welche Börse akzeptiert ein solches Angebot? Umso beeindruckender, was dieser Karl im Unglück und im Glück so hinbekommen hat.

Ein Theater, das jungen Menschen zeigt, wie man mit schwerem Gepäck umgehen kann. Zwei junge Menschen, 14 und 15, die ihn lieben. Das Gepäck, das er ihnen auf den Weg gegeben hat, ist auch kein geringes. Aber es ist versehen mit so viel Liebe und Gewissheit, dass sie es leichter haben werden, als er es hatte.

Ein Kaff in Niederbayern, die Eltern kamen nicht von hier. Der Vater arbeitete auf dem Bau und soff, die Mutter blieb zuhause und schlug. Drei Töchter und ein Sohn, Karl, der der Stammhalter werden sollte. Aber dafür taugte er ja nicht. Wofür taugte er überhaupt? In der Schule war er mies, zuhause verkroch er sich und las.

Da war er nicht zuhause, da war er gut

Die älteste Schwester und er hatten rote Haare, die anderen beiden Schwestern dunkle. Von den Diensten, die die Mutter verteilte, erhielten die Rotschöpfe die äußeren, die dunklen die im Inneren, so erinnert sich die älteste. Im Garten die Beete, im Wald das Holz. Für den Vater musste das Bier in Krügen aus der Wirtschaft geholt werden. Unterwegs kosteten sie davon.

Karl machte Sport. Da war er nicht zuhause, da war er gut. Er fuhr Ski, er kletterte auf Berge, er spielte Tennis. Mit 16 durfte er endlich gegen die Erwachsenen im Verein antreten. Er schlug sie alle, diese schneeweißen Schnösel, er war’s zufrieden und wandte sich dem Eishockey zu. Und alle wunderten sich: Warum bleibt der Korli nicht beim Tennis?

Die Landwirtschaftslehre beendete er wegen einer Allergie, holte das Abitur nach, interessierte sich aber mehr für Mädchen und Sport als für Texte und Zahlen, lavierte sich so durch, trieb sein Spiel mit den Lehrern. Eine frühe Theatererfahrung: Masken tragen, Rollen spielen, im Leben nicht weniger als auf der Bühne.

Diverse Studien, Musikwissenschaft mit Abschluss, und den Eltern war vollends klar, dass ihr Korli woanders hingehörte. Wohin genau wusste er ebensowenig wie sie. Ein Jahr in Spanien, ein paar Monate in St. Petersburg, immer auf der Suche könnte man sagen, hätte er nur gewusst, wonach. Denn einzig darin war er sich sicher: nicht so werden wie die anderen, die Angepassten, die Streber und Vollender.

Hans im Glück tauscht frohgemut eins gegen das andere. Dass jemand ihn übervorteilen würde, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Je länger Karl vermeintlich ergebnislos durchs Leben lief, desto mehr sah er sich umgeben von Absichten und Forderungen, tu dies, lass das. Von Mal zu Mal floh er in die Betäubung, in den Rausch. Als der Vater das regelmäßig getan hatte, damals, luden die Kinder aus Scham keine Freunde zu sich ein. Was mochte Karl jetzt von sich selbst halten, wenn er verkatert aufwachte?

In Würzburg, wo er gegen Ende seiner Studienjahre gelandet war, brachte er das Maskenspiel erstmals auf die Bühne. Er spielte, er schrieb, er inszenierte kleine Stücke. Außerdem kochte und bediente er in einer Kneipe, trat mit der Gitarre auf, und übernahm irgendwann den ganzen Laden. Es müssen wilde Jahre gewesen sein, Karl mittendrin, Karl überall, Karl außer sich. Es kam zum Zusammenbruch, was genau das war, weiß niemand, denn Karl ging ja nicht zum Arzt. Ärzte gehören zum System.

Und Dramen gehören auf die Bühne. Ein hilfreicher Gedanke für einen mit zu viel Drama im Leben. Karl fand eine Anstellung an einer Landesbühne im Harz. Hier war er der Hans im Glück, ein paar Auftritte lang. Ansonsten lernte er, wie viel Unterordnung und Mitmacherei zur Schauspielerei gehören. Es war halt nicht sein Theater.

Er war willkommen, aber gehörte er denn dazu?

Also fort von hier, Berlin. Er folgte einer Frau, die Sache ging in die Brüche, er litt, doch er wusste endlich, was er wollte: ein eigenes Theater! Mit Ende 30 hatte er eins und nannte es selbstbewusst „Radiks“. Da steckt das lateinische Wort für Wurzel drin und: radikal. Karl schrieb, Karl inszenierte, Karl spielte. Ein Stück hieß „Die Margariten“, handelt von fünf sehr unterschiedlichen Frauen, die letztlich nur eine sind, und die war letztlich er. Radikal Karl.

41 war er, als er Theresa, 19, kennenlernte. Sie himmelte ihn an. Er liebte sie, auch wenn sie ihn zuweilen überforderte. Sie wollte Dinge erleben, nicht nur im Theater. Sie hatte eine Familie, ein großes Miteinander. Er war willkommen, aber gehörte er denn dazu? Ihm war das fremd, er wollte das nicht.

Aber die Kinder, die Theresa wollte, die wollte er auch. Laurenz und Avra kamen auf die Welt, eine gemeinsame Wohnung, eine gemeinsame Familie. Karl im Glück? Könnte man so sagen, oder auch nicht. Er liebte die Kinder über alles. Sie waren einfach da und sagten nicht: Tu dies, lass das. Theresa sagte das zuweilen. Und immer war da sein Theater, für das er brannte, das ihn überforderte. Es war Flucht vor der Familie – wie Familie funktioniert, hatte er ja nie gelernt. Und es war Tretmühle, ein immerwährendes Da-geht-noch-mehr.

Nach sieben Jahren brach die Familie auseinander. Für Karl hieß das: Eine Woche ganz und gar Theater, eine Woche Kinder plus Theater. Tage ohne Aufgabe gab es nicht. Er las den Kindern vor, der beste Vorleser der Welt! Er machte Sport mit ihnen, rannte immer vorneweg: Kommt schon! Setzte sie an ihre Instrumente: Los, los, los! Sport und Musik, das waren damals seine Fluchten in die Freiheit. Jetzt fehlte ihm zuweilen das Verständnis, wenn seinen Kindern das zu viel wurde.

Bemerkenswert, dass er inzwischen vor allem Theater für Jugendliche und für Kinder machte. Bewusst oder unbewusst, eine rastlose Bewegung zu den Gründen seiner eigenen Rastlosigkeit. „Präventionstheater“. Habt es besser! Macht es besser!

Hans im Glück hat am Ende gar nichts mehr, ist frei. Und Karl? Was er mit 59 Jahren aufzuweisen hatte, das Theater, seine Kinder, das war schön. Ein Goldschatz, den er so weit getragen hatte. Er brach zusammen, der Blutdruck viel zu hoch, die Ader zum Herz zu schwach.

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