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Lothar Ruff

© privat

Nachruf auf Lothar Ruff: Wonach riecht ein Gentleman im Herbst?

Als junger Mann war er nach London gereist, hatte eine alte Parfümerie betreten und war hinfort verloren für andere Düfte

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Ein Dandy ist ein Mensch, der bescheiden genug ist, den größten Gefallen an sich selbst zu empfinden. Dazu benötigt er allenfalls die Hilfe seines Herrenausstatters – und die seines Parfümeurs. Als alltägliche Reinigungsmittel zur Veredelung des Gewöhnlichen empfiehlt sich: eine Zahnbürste mit Wildschweinborsten, ein Rasierpinsel mit Dachshaar und ein Zahnstocher mit königlichem Wappen. Die eigentliche Aura aber verleiht der Duft.

Wonach riecht ein Gentleman im Herbst? Nach dem Parfum „Park Royal“ vielleicht, eine der jahreszeitlich abgestimmten Empfehlungen von Lothar Ruff. „Es hat das Aroma eines feuchten Herbstparks.“ Anfangs gewöhnungsbedürftig, aber umso stärker bleibt es in Erinnerung. „Mit englischen Parfüms ist es wie mit einer ungewöhnlichen Frisur: Erst wenn man den Duft einen Tag lang trägt und andere ‚toll‘ sagen, beginnt man Freude zu empfinden.“ Lothar Ruff gab viele Interviews, in denen er sein Tun als Parfümeur erklärte. Denn sein Ladengeschäft in Berlin, nunmehr von der Tochter geführt, ist singulär. „The English Scent“, das einzige kontinentale Fachgeschäft, das ausschließlich britische Düfte, Pflegeartikel und Kosmetika im Sortiment führt.

Als junger Mann war Lothar Ruff einst nach London gereist, hatte eine alte Parfümerie betreten und war hinfort verloren für andere Düfte. Die chemisch angerührten Konsumparfüms der großen Hersteller verabscheute er. Englische Düfte sind anders. Ehrlicher. Sie riechen tatsächlich nach dem, was das Etikett an Inhaltsstoffen verspricht.

Der Hauptdarsteller, ganztägig

„Hammam-Bouquet“ beispielsweise, 1872 für die Nase eines türkischen Sultans kreiert, birgt alle Wohlgerüche des Orients. Oder die Produkte des Hauses Floris, seit 1730 eine erste Adresse für exquisite Kreationen, stark blumig, und von daher wunderbar geeignet, die üblen Gerüche in Londons Straßen vergessen zu machen. Parfüms sind Zaubermittel, die Räume und Zeiten entgrenzen. Den Flakon zärtlich öffnen – und ein Duft nach Meer und Zitrusfrüchten bringt den Sommer zurück, und die Liebe, die mit ihm entschwand.

Lothar Ruff verkaufte keine Düfte, er präsentierte sie. Sein Ladenlokal war seine Bühne. Er selbst war der Hauptdarsteller, ganztägig. Denn auch nach Feierabend trug er bevorzugt Westen im Schotten-Look, handgemachte Schuhe und Anzüge, die es wert waren, getragen zu werden. Er verwendete englisches Besteck, hörte Musik aus einem Roberts Radio, schick wie eine Handtasche und ebenso transportabel dank des Bügelgriffs. Seine Mahlzeiten nahm er auswärts ein. Sonntags führte ihn sein Spaziergang frühmorgens zum Bahnhof Zoo, wo er die „Times“ erwarb, um auf dem Laufenden zu bleiben. Denn nach London reiste er in späteren Jahren nur noch selten. Seine Fortbewegungsmittel in der Stadt waren zwei Triumph-Motorräder, ein Chopper für die Bequemlichkeit, eine Daytona, um hurtig ins Umland zu kommen.

Er selbst trug nahezu jeden Tag einen anderen Duft, am liebsten aber das erfrischend zitrische „Floris Elite Eau de toilette“ nach einer Rezeptur von 1790. Am Hals auftragen, bevorzugt hinten im Nacken. Duftproben hingegen auf den Handrücken tupfen, „viel besser, als wenn sie die Hand verdrehen müssen, gnädige Frau“. Lothar Ruff umgab sich gern mit Frauen, Männer waren ihm ein wenig zu besserwisserisch und zu vorlaut in der Konversation. Denn wer ehrliches Interesse an der Welt der Düfte zeigte, den unterhielt er stundenlang mit wissenswerten Anekdoten. Dazu servierte er gern ein oder zwei Gläser Perlwein. Neue Düfte, industriell gefertigt, lehnte er ab. Als Schnupperbeweis präsentierte er einen sogenannten „Abschreckduft“, auf einem Tissuedeckchen aufgesprüht.

Parfüms sind wie Komplimente. Sie dürfen duften, aber nie aufdringlich werden. Wer sich sympathisch findet, muss sich auch riechen können. Die Nase ist sehr individuell und wählerisch. „Wenn der Duft Ihrer Frau nicht gefällt“, riet er einem seiner Stammkunden, „dann würde ich mich trennen!“ Das war im Scherz gesagt, aber durchaus ernst gemeint. Düfte lügen nicht. Sie schaffen die schönsten Erinnerungen und die traurigsten. „Ich habe schon als Kind an den Flakons meiner Mutter gerochen“, bekannte er in einem der Zeitungsinterviews, „und später selbst viele Parfums gesammelt“. Souvenirs, die selten Heimweh weckten.

Er war ein Sonntagskind, gezeugt vom katholischen Priester des Dorfes und nicht vom Namensvater, was ein offenes Geheimnis war. Nach dem frühen Tod der Mutter verließ er seinen Heimatort. Mit seinen Geschwistern verband ihn nicht viel. Was ihm blieb, war die Golduhr seines Priestervaters und die Erinnerung an die Parfums der Mutter. Er zog nach München und finanzierte sein Studium der Theaterwissenschaft als Taxifahrer. Er fand eine Anstellung als Dramaturg, wurde von dem namhaften Regisseur Gerhard Klingenberg angeworben, mit dem er als „Getreuester unter den Getreuen“ von Theater zu Theater zog, bis er 1994 mit seiner Parfümerie eine neue Bühne eröffnete.

Fortan inszenierte er sein Leben nach eigenem Drehbuch. Ein Sozialdemokrat mit Manieren, dem es sehr wichtig war, dass sich die Menschen von ihrer besseren Seite zeigen können. Düfte spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle, wie er bis zum letzten Akt vorzuleben gedachte. Aber es kam anders.

„Mit dem Kopf stimmt was nicht“ klagte er bereits vor 15 Jahren. Er konnte es anfangs gut verstecken, aber die Furcht war da: „Ich werde eines Tages noch gaga.“ Um zu verstehen, was in ihm vorging empfahl er seinem Sohn und seiner Tochter den Film „Die Auslöschung“. Er wurde zur Vorlage seines Abschieds. „Ich brauch doch keine Altersversorgung“, hatte er seine Kinder stets beruhigt: „Ich krieg doch hier im Laden einen Herzinfarkt.“ So sollte es nicht sein. Ohne die Hilfe seiner Tochter fand er sich kaum noch zurecht. Zum Ende hin bezog er eine Wohngemeinschaft für Demenzkranke. Die Farbwahl seiner Urne: Royal Blue. Denn da war er sich mit Yves Saint Laurent einig: „Moden verblassen, Stil ist ewig.“

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