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Nachruf auf Lutz Behrendt: Aber probieren Sie selbst

Zeit ist wertvoll. Am schönsten lässt sie sich bei einem gemeinsamen Essen genießen

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Es ist so schön in Berlin, an manchen Tagen, an manchen Orten, mit manchen Menschen. Ein früher Sommerspaziergang rund um den Schlachtensee, von dort in die Breisgauer Straße und geradewegs ins „Weinmagasin“. Ein altes Haus im Villenstil, früher eine Metzgerei, die grün-weißen Wandfliesen sind noch erhalten. Weinregale, ein Esstisch, auf dem Lutz servierte, was den Gästen seiner festen Überzeugung nach zustand: Gutes Essen.

Es gibt Wirte und es gibt Verkäufer. Wenn Lutz eine Flasche Wein zum Essen empfehlen sollte, dann stellte er nicht die teuerste auf den Tisch, sondern eine empfehlenswerte zu einem vernünftigen Preis. „Der Wein ist gut. Aber probieren Sie selbst.“ Pompöses Verkostungsvokabular zwecks Erkundung subtilster Geschmacksnuancen war nicht seins. Mit dieser Verkaufspolitik wird man nicht reich, aber man bleibt sich treu.

Seine Berufskleidung wechselte er 30 Jahre lang nur zum Waschen: weißes Hemd, Jeans, dazu stets italienische Schuhe. 30 Jahre stand er im Laden, Urlaub mied er, und auch sonst schätzte er es nicht, wenn die Zeit Veränderungen brachte. Denn vor 30 Jahren war die Frau gestorben, die er über alles geliebt hatte. Jutta hatte aus dem verbummelten Eigenbrötler einen anderen Menschen gemacht. Sportlehrer hätte er werden sollen, aber das Referendariat brach er ab. Einen wirklichen Sinn sah er im Leben noch nicht, bis sie ihn an die Hand nahm und zu seinem Glück, nein, nicht zwang, einlud.

Sie lud gern ein, denn das Leben war ein Fest, sie lebte es gern, sie tanzte vor Glück, auch auf dem Tisch. Er dankte ihr dafür auf den Knien seines Herzens. Sie starb, ganz schnell, ganz schlimm. Über 30 Jahre ist das her, aber bis zuletzt trug er ihre Sterbeurkunde bei sich. Kein anderer Mensch hat ihn je wieder so glücklich lachen lassen. Nein, er mochte Veränderungen nicht, Veränderungen bringen selten Gutes. Aber er hatte verstanden, dass die Zeit etwas sehr Wertvolles ist. Und am schönsten lässt sie sich bei einem gemeinsamen Essen genießen.

Zum Abschluss stets: Dessert Surprise

Jeden Samstag tischte er zur Mittagszeit ein Zwei-Gang-Menü auf, das die Gäste auf kulinarische Reise mitnahm. Ungarisches Rindsgulasch mit Blumenkohl. Französische Austern. Poularde Supreme mit Spitzkohl. Elsässer Choucroute mit reichlich Sauerkraut. Zum Abschluss stets: Dessert Surprise. Das war gut, das war nicht übertrieben teuer. Jeder war willkommen. Fast jeder. „Bobby“, wie ihn seine Gäste und Freunde nannten, ohne genau zu wissen, woher der Name rührte, denn gräflich war nichts an ihm, Bobby war ein sehr leiser Mensch. Auch wenn er zuweilen sehr laute Musik hörte, ungeachtet aller Proteste, aber im persönlichen Umgang war er ruhig. Vielleicht haben sich seine Gäste deshalb wohl bei ihm gefühlt, weil er sie nicht bedrängte. Er hat immer sehr leise gesprochen, wenn er überhaupt gesprochen hat, denn er war ein guter Zuhörer. Er hatte ein Gespür für Stimmungen, er wusste, wann es Zeit war zu sprechen, und wann es Zeit war zu servieren.

Ein diskreter Menschenfreund, was nicht hieß, dass er, in seltenen Fällen, gewisse Gäste, zuweilen auch Hunde, strategisch ignorieren konnte. Für die war kein Platz am Tisch und im Lokal. Für die blieb die Küche kalt, auch wenn anderen noch warme Teller gereicht wurden. Rund um den Schlachtensee leben viele reiche Menschen, aber nicht jeder reiche Mensch weiß, dass Reichtum ohne Manieren ein Armutszeugnis ist.

Lutz war gern für andere da. Aber sie mussten sich zu benehmen wissen. Das lernten die meisten, die seinen Laden betraten, mit der Zeit. Seine Gäste waren prominent und weniger prominent, aber was machte das für einen Unterschied, wenn die Pasta auf den Tisch kam mitsamt der hauseigenen Sauce und dem frischen Salat. Und der berühmte Opernsänger zum Dank ein Loblied schmetterte, was den gewieften Anwalt nicht weniger rührte als die agile Medienagentin.

Seine Gäste wussten, was sie an ihm hatten, und kauften gern bei ihm und viel. Dennoch wurde er nicht reich, was ihm nicht wichtig war. Er hatte seine Wohnung im selben Haus wie seine Lieblingskneipe, ein Jazzlokal, in dem er sich aufgehoben fühlte, ohne familiär beengt zu sein. Seinen Alfa Romeo hatte er schon vor langer Zeit verkauft zugunsten eines vernünftigen und geräumigen Fahrzeugs. Was seine Liebe zu schnellen Autos nicht hatte erkalten lassen, aber die sah er sich nur noch in Formel Eins-Rennen an.

Ansonsten kannte er nur Arbeit. In den kurzen Ruhepausen trat er vor die Tür, setzte sich, wenn die Sonne schien, kurz auf die Stufen, trank einen Espresso und rauchte eine Zigarette. Gern und viel hat er geraucht, er nahm keine Rücksicht auf seine Gesundheit. Für wen auch, denn der eine Mensch, für den er sein Leben jederzeit auf den Kopf gestellt hätte, der war nicht mehr. Darüber sprach er nicht.

Er hat sich geschützt, indem er sich Tag für Tag in die Öffentlichkeit begab. Als Gastgeber hatte er seine Rolle, die gab ihm Halt. Auch wenn zuweilen Ärger hochkochte über manche Gäste, die immer nur das Beste wollten für wenig Geld. Aber dergleichen fraß er in sich hinein. Seine Mimik entgleiste nur selten, meist in gespielter Verzweiflung, wenn ihm von Freunden ein vermeintlich guter Wein angepriesen wurde, der schon beim ersten Schluck den Gaumen strafte.

Aufbrausend hat ihn nie ein Gast gesehen. Auch keiner seiner Freunde. Wenn es anderen schlecht ging, spürte er es sofort. Als es ihm schlecht ging, ließ der gute Rat der Freunde hingegen zu lange auf sich warten. Zum 30. Jubiläum bekam er 30 Tulpen vom Vermieter. Das hat ihn sehr gefreut. Und dass seine Gäste nicht auf ihn verzichten wollten, auch wenn seine Gesundheit längst eine Auszeit nötig gemacht hätte. Aber er hielt durch bis zum letzten Tag.

Du siehst nicht gut aus, meinte ein Gast besorgt, geh zum Arzt. Lutz warf ihm die Schlüssel zu. „Wenn ich nicht wiederkomme, sperrt ab!“ Er kam nicht wieder. Nun fehlt der Ort, und es fehlt der Mensch.

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