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Nachruf auf Marie-Luise Schwarz-Schilling: So viel zu erfahren, so viel zu tun
Die Geschäfte führen, nun gut, bestimmt nicht einfach, so was. Aber würde sie den Rest ihres Lebens in Büdingen verbringen?
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Vor 32 Jahren feierte Marie-Luise Schwarz-Schilling den 60. Geburtstag in ihrer neuen Wohnung in Berlin. Man kann nicht sagen, dass ihr Leben bis dahin langweilig oder erfolglos gewesen wäre. Auch ihre Ehe war intakt. Dennoch war es wie eine Befreiung. Endlich wieder Berlin! Endlich ohne diese Firma, die sie seit 35 Jahren geleitet hatte. Sie hatte doch noch so viel vor, blutjung wie sie war.
Sehr behütet ist sie aufgewachsen in Dahlem. Ein Einzelkind, das seine Eltern liebte, sonntags ging es nach der Kirche raus zum Segeln auf dem Wannsee. Irgendwann durften sie für die Ausflüge nicht mehr ihr Auto benutzen und mussten den Bus nehmen, weil Deutschland das Benzin für den Krieg brauchte. Weil Deutschland außerdem Autobatterien brauchte, musste Marie-Luises Vater nicht in den Krieg. Die „Accumulatorenfabrik Sonnenschein“ in Mariendorf gehörte ihm.
Wenn sie später gefragt wurde, warum ihr die Mitte Ost-Berlins so sehr am Herzen lag, erzählte sie von einem Ausflug, den ihre Dahlemer Mädchenklasse dorthin gemacht hatte. Der Blick von der Gertraudenbrücke, ein Wohnhaus, das sie besichtigen durften, an dessen Außenwand die Spree entlangfloss: Die Eindrücke beschrieb die Neunzigjährige mit der Begeisterung der Siebenjährigen.
Die Nonnen: selbstbewusste, kluge Frauen
Als wegen des Krieges ihre Schule zumachte, kam sie bei Verwandten in Westfalen unter und war überglücklich, als der Vater sie kurz nach dem Krieg zurück nach Berlin holte, den ganzen Weg zu Fuß mit einem Bollerwagen. Als der Vater dann aber einen neuen Standort für die Firma in Hessen gefunden hatte, hieß es wieder Abschied nehmen, Berlin eintauschen gegen Büdingen, ein Nest bei Frankfurt. Sie kam in ein katholisches Internat, das ihr immerhin gefiel. Die Lehrerinnen, Nonnen, beeindruckten sie, selbstbewusste, kluge Frauen.
In dieser Zeit teilte ihr der Vater mit, dass sie, das einzige Kind, das er nun einmal habe, die Firma dereinst übernehmen solle. Die Geschäfte führen, nun gut, bestimmt nicht einfach, so was. Aber würde sie den Rest ihres Lebens in Büdingen verbringen?
Nach dem Abitur durfte sie ein Jahr lang machen, was sie wollte, danach war ein Wirtschaftsstudium vorgesehen. Sie entschied sich für Archäologie in Göttingen. Was sich als Fehler erwies: Sollte sie das womöglich kostbarste Jahr ihres Lebens alten Steinen widmen? Nach ein paar Monaten brach sie ab.
Paris! Was außer Französisch sie dort lernte, ist leider nicht überliefert. Gehorsam kehrte sie nach Ablauf dieses Jahres nach Deutschland zurück, nach München immerhin. Auf einer Faschingsfeier lernte die elegante Studentin der Ökonomie einen eleganten Studenten der Sinologie kennen. Christian Schwarz-Schilling entstammte einer Berliner Musikerfamilie. Er pfiff immer diese Bach-Melodien, wenn er die Treppen hochkam.
Bach! Berlin! China! Christian würde sie bewahren vor der Rückkehr nach Büdingen – ihre Hoffnung war die Befürchtung ihrer Eltern, entsprechend zurückhaltend deren Reaktion auf die Ankündigung des weltläufigen Geliebten. Welcher sich aber als so bodenständig erwies, so interessiert an betriebswirtschaftlichen Belangen, dass Marie-Luises Vater ihn umgehend in die Interna der Akkumulatorenfabrikation einweihte.
Hochzeit in Schwarz
Was sich als Glücksumstand erwies – für die Akkumulatorenfabrikation. Denn der Vater starb im Frühjahr 1957, kurz vor der Hochzeit seiner Tochter. Welche nun in Schwarz stattfand, was doppelt passend war, da während der Trauung auch noch der Priester tot umfiel. Im Publikum fand sich ein zweiter, welcher den Bund zu Ende schloss, so gründlich, dass er 67 Jahre hielt.
Wozu die Lebensführung der Eheleute mindestens so wirksam beigetragen haben dürfte. Eine wie der andere waren und blieben hochaktiv, jeder für sich. Kein Neid, keine Missgunst. Für die Töchter, 1960 und ’64 geboren, gab es eine Kinderfrau, so konnten Marie-Luise und ihr Mann auch zweimal im Jahr in die Ferne reisen.
Die Firma führten sie gemeinsam, wobei die Sphären klar aufgeteilt waren, er fürs Technische, sie für die Finanzen. Dann ging er in die Politik, erst für die CDU in Wiesbaden, das war noch auszubalancieren. Als Helmut Kohl ihn aber 1982 zu seinem Postminister in Bonn machte, musste er seine Arbeit in der Firma einstellen, der Marie-Luise von nun an ganz allein vorstand. Hätte sie je für ihr Leben einen Plan gemacht, diesen Job, zumal in einer Zeit, in der die Firma wegen der politischen Position ihres Mannes in Skandale verwickelt wurde, hätte sie sich bestimmt nicht ausgesucht.
Immerhin fuhr ihr Mann öfter auf Dienstreise in ferne Länder. Da fuhr sie, wann immer möglich, mit, nannte sich „sein Postpaket“, unterhielt sich blendend mit den vielen Herren und wenigen Damen von der Presse, rauchte ihre Damenzigaretten und entsprach nicht unbedingt der Vorstellung von einer brav zurückhaltenden CDU-Ministergattin.
Schließlich das Jahr 1992. Nicht nur wurde sie 60, verkaufte ihre Firma und hatte eine Wohnung in Berlin. Auch ihr Mann trat von seinem Ministerposten zurück. Was nicht hieß, dass die Eheleute fortan auf dem Sofa ihrem Ehe- und Lebensende entgegenwarteten. Weiterhin gehörte der Kalenderabgleich wesentlich zum Mit- und Ohneeinander. Er war fortan viel auf dem Balkan unterwegs, sie in Berlin, und weiterhin unternahmen sie ihre gemeinsamen Reisen in die Welt.
Als die Ehen ihrer Töchter auseinanderbrachen, fand Marie-Luise Schwarz-Schilling ein Thema, mit dem sie sich in den folgenden Jahren befasste. Sie schrieb zwei Bücher, „Die Ehe: Seitensprung der Geschichte“ und „Gleichrangig: Wie hält die Zweisamkeit das aus?“, sie betrieb in ihrer großen Wohnung gemeinsam mit der jüngeren Tochter einen Damensalon, und sie zeigte sich wenig beeindruckt davon, dass andere das Emanzipations- und Ehethema schon lange vor ihr und weit akademischer angegangen waren. „Wenn ich was zu sagen habe, sage ich’s!“
Weil ihr die neue östliche Mitte von Berlin so wenig gefiel, diese riesigen Straßen, die Grundrisse, die kaum etwas mit ihrer schönen Erinnerung zu tun hatten, gründete sie eine Stiftung, die sich der Umgestaltung dieser Wüste widmete. „Wenn ich was tun kann, muss ich’s tun!“ – warum soll das nicht für eine Frau von 90 gelten?
Eine Schande, dass selbst dieses Leben endlich war. So viel gab es noch zu erfahren, so viel zu tun.
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