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Nachruf auf Renato Dunz: Einer, der mal auf dem Kopf steht
Fürs Untergebenendasein taugte er ebenso wenig wie fürs geordnete Familienleben
Stand:
Der Mann, der die Currywurst verkauft, hat seine Fingernägel bunt lackiert. Die Haare trägt er an den Seiten kurz und oben hochgebunden zu einer kleinen Palme. Für diese Stadt und den Beruf ist er viel zu freundlich. Viele Kunden kennt er beim Namen und weiß, wie scharf sie ihren Curry mögen. Naja, er heißt Renato, kommt wohl aus dem Süden, da sind sie anders.
Nichts da, in Kreuzberg ist er aufgewachsen. Den „Curry & Pommes“-Stand am Bahnhof Friedrichsfelde-Ost betreibt er seit einer Ewigkeit. Und obwohl er nur noch zwei Tage in der Woche dasteht, inzwischen erst ab um elf, macht er den Job wahnsinnig gern. Er bekommt ja nicht nur Geld für Ware. Er tauscht auch Freundlichkeit gegen Freundlichkeit, Aufmerksamkeit gegen Aufmerksamkeit.
Dass die Wurst und die Pommes von besonderer Qualität sind, sagen jene, die die Unterschiede schmecken, die Polizisten vom Abschnitt 34 etwa, Nöldnerplatz, die oft einen Streifenwagen bei ihm vorbeischicken, der ihre Bestellungen abholt.
Als er zwei war, sind seine Eltern mit ihm und seinen beiden jüngeren Geschwistern nach West-Berlin gezogen. Der Vater, Maschinenschlosser und später Werksleiter, hatte keine Lust auf die Bundeswehr und bekam eine große Wohnung im Fabrikgebäude am Landwehrkanal. Renato war viel auf den Straßen unterwegs, in der Schule nicht so gern, zweimal blieb er sitzen, Hauptschulabschluss, Verkäuferlehre, mit 18 eine eigene Wohnung, mit 22 Heirat, eine Tochter, nicht sehr lange darauf die Scheidung.
Die Sache mit dem Möbelladen
Bei der „Teppichdomäne“ hätte er sich hocharbeiten können, aber da waren Chefs im Weg, mit denen er, ähnlich wie mit den Lehrern damals, überhaupt nicht klarkam. Fürs Sich-Einfügen war er nicht gemacht.
Mit seinem Bruder Mike machte er im Juni ‘94 einen Möbelladen auf. Der Umsatz war am ersten Tag super, am zweiten ganz okay, am dritten so lala – das war der Trend. Im September machten sie den Laden zu, und Renato begab sich in die Privatinsolvenz.
Dass er kurz darauf in ein lukrativeres Geschäft mit kleineren Waren einstieg, kam so. Er lernte Manuela auf dem Rummel kennen, und Manuela kam aus einer Ost-Berliner Imbissdynastie. Seit der DDR-Zeit betrieben sie die große Wurstbude am S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost. Als die wegen eines Neubaus abgerissen wurde, kauften Manuela und Renato einen Imbisswagen, den sie gegenüber aufstellten. Kundschaft war da wie eh und je, S-Bahn, Straßenbahn und Bus warfen im zuverlässigen Takt die Hungrigen ab. Und aus Renato hätte ein ordentlicher Familienmensch mit richtig guten Einkünften und Altersvorsorge werden können. Die beiden bezogen eine schmucke Dachgeschosswohnung. Doch er trennte sich von Manuela, versuchte es mit Jaqueline, die beiden bekamen einen Sohn – und trennten sich. Dann versuchte er’s mit einer zweiten Manuela, die er heiratete, doch auch das hielt nur fünf Jahre.
Wie fürs Untergebenendasein taugte Renato auch wenig fürs geordnete Familienleben. Den Imbiss betrieb er allein weiter, rauchte nach Feierabend seine Joints und wusste nicht so richtig, was er mit seinem Leben noch anfangen sollte. 2014 kaufte er sich einen nagelneuen Golf mit allen Extras, die es so gab. Der fuhr so gut, dass Renato beim Ritt über die Brandenburger Allee lässig das linke Bein aus dem Fenster lehnte, total entspannt, was allerdings der Polizei auffiel. Da sich in seinem Blut eine erhebliche Menge THC fand, war der Führerschein weg, und weil Renato wusste, dass er auch künftig nicht aufs Gras würde verzichten können und dies bei den anstehenden Haartests kaum zu verheimlichen war, verkaufte er seinen tollen Golf und bewegte sich fortan mit Fahrrad und Bahn von hier nach dort.
„Wild Thing“ auf der Kirchtreppe
Am liebsten fuhr er nach Buckow. Dort hatte er eine Frau kennen gelernt, und dort war es auch sonst sehr viel schöner als in der Stadt. Die hügeligen Wälder, die Seen dazwischen und außerdem die angenehmen Leute. Im „Lokal“, so heißt ein brandenburg-untypisches Café in einer Buckower Seitenstraße, treffen sie sich und sind sehr unterschiedlich und lassen einander unterschiedlich sein. Renato fiel auf, nicht nur wegen der Fingernägel und der komischen Frisur. Ein Typ aus Berlin, ganz klar, aber so entspannt und offen wie ganz wenige. Er wollte auch auffallen, er lernte Gitarre, setzte sich auf die Kirchtreppe am Markt und übte „Wild Thing“. Oder machte irgendwo im Freien seine Kopfstände. Sieh an, einer, der mal auf dem Kopf steht.
Er fand eine winzige Wohnung in Buckow, von der aus der Weg zum Imbissstand natürlich etwas weiter war. Dafür musste er nicht viel bezahlen für die Wohnung, und er brauchte auch sonst nicht viel und musste also weniger arbeiten. Zwei Tage in der Woche reichten, ab elf war auch okay.
Womit er die restliche Zeit verbrachte? Er spielte Gitarre, überredete Daniel aus Buckow, dazu zu singen, er malte ein paar sehr bunte Bilder, fuhr mit seinem Ruderboot auf dem Schermützelsee umher. Und vor jähen Eingebungen, dass noch etwas fehlt, bewahrten ihn die Entspannungszigaretten.
Renato, dem es schwer gefallen war, sich einzufügen, in die Zusammenarbeit mit anderen, in eine Familie, hatte einen guten Ort gefunden. In Buckow kannten ihn die Leute, viele mochten ihn, und niemand rückte ihm zu nah. Zu Festen holte er seinen Imbisswagen ran und war der Pommes-Zampano. In Berlin war er das an jedem Dienstag und jedem Mittwoch, und so hätte es auch ruhig weitergehen können, wenn er bei Kräften geblieben wäre.
Dass ihm Dinge schwerer fielen, hatte er schon etwas eher festgestellt, im letzten Frühjahr funktionierte aber auch das Sprechen nicht mehr gut. Amyotrophe Lateralskelrose, ALS: Nervenzellen, die die Muskeln steuern, funktionieren nicht mehr, unaufhaltsam immer mehr, in seinem Fall besonders schnell. Renatos Bruder kam und hat geholfen, Freunde ebenso. Die Polizisten, die bei ihm so gut gegessen hatten, sammelten Geld. Renato war nicht allein, als er gestorben ist.
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