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Rudolf Klement

© privat

Nachruf auf Rudolf Klement: Stabilität und Konfetti

Er tischlerte für den „Kessel Buntes“ die Showtreppen, auf denen 40 lange Beine herunter- und herauftanzten

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Die Sommerurlaubsgäste reisen mit ihren Autos an, lehnen sich bequem in die Sitze – und stehen im Stau. Eine Familie nimmt nicht das Auto, sondern das Boot, ein kleines Sportmotorboot: die Klements. Sie haben gar kein Auto. Wichtiger noch: Rudi, Kopf der Familie, liebt das Wasser. Das Wasser und Boote.

Die drei Koffer, einen für jeden, Vater, Mutter, Kind, kommen vorn ins Gefährt, und dann geht es los, von Grünau aus die Dahme entlang bis nach Gussow im Brandenburgischen, wo das Ferienheim des Fernsehens der DDR liegt. Rudi arbeitet beim Fernsehen. Kein Stau unterwegs, das Wasser schlägt sanft gegen den Bug, eine herrliche Aussicht, Rudi am Steuer, die Pfeife im Mundwinkel – praktisch, denn der Pfeifenrauch vertreibt die Mücken.

Das Wasser, eine von Rudis Lebenslieben. Obwohl es dort, wo er zur Welt kam, im böhmischen Landskron, nicht unbedingt ein Überangebot an Wasser gibt. Landskron liegt am Fuß des Adlergebirges. Einen schmalen Fluss findet man immerhin, ein, zwei Fischteiche auch, kleine Bäche, an denen er in seiner frühen Kindheit entlang streifte, wo er mit seinem älteren Bruder Miniaturstaudämme baute. Ein Kinderparadies.

Dann zerbrach dieses Paradies, Krieg, Flucht Richtung Westen am brennenden Dresden vorbei, weiter bis Berlin-Grünau ans Wasser. Die Familie, zu der noch Inge kam, seine jüngere Schwester, wohnte in einer mickrigen Bleibe, ebenerdig, eng, eher eine Garage als ein Haus. Die Bleibe lag an der Regattastrecke, das Wasser genau vor der Nase.

Und die Hausaufgaben?

Rudi stromerte die Dahme auf und ab, hielt die Füße in den Fluss, warf Kiesel hinein und beobachtete die sich konzentrisch ausbreitenden Wellen, schaute auf die Boote, sprang auf die Boote und fuhr als Schiffsjunge mit. Und die Hausaufgaben? Nicht so wichtig.

Die Entscheidung stand schnell fest: Er würde Bootsbauer werden. Ein klassischer Holzbootsbauer. Hier in Grünau.

Rudi lernte alles über Planken, Bug, Heck, Reling, Kajüte, Rumpf, Ruder.

Doch dann drängten neue Materialien auf den Markt. Glasfaserverbundstoffe. Was ihn, der so sehr am Holz hing, unglücklich machte. Außerdem setzten ihm die Dämpfe der neuen Werkstoffe zu. So wechselte er zum Fernsehen, Adlershof lag ja um die Ecke, und begann als Tischler in der Dekorationstischlerei. Und baute mit am wunderbar märchenhaften Fernsehkosmos.

Er war ein sehr präziser Handwerker in dieser Scheinwelt aus Kulissen. Tischlerte für den „Kessel Buntes“ die Showtreppen, auf denen 40 lange Beine herunter- und herauftanzten. 20 glitzernde Frauen, die sicher sein mussten, dass die Treppe nicht wackelt, nicht nachgibt, und sie konnten sich sicher sein, denn Rudi sorgte für Stabilität.

Dann die Silvestershows, die immer schon im Sommer aufgezeichnet wurden, mit viel Konfetti, das er noch Tage später aus seinen Hosen schüttelte. Er fuhr zu Dreharbeiten nach Leipzig. Sah die schnöde Realität hinter dem ganzen Dekor, entzauberte Magie. Dieser Staatsschauspieler Günther Simon etwa, der stets vorbildliche, sozialistische Arbeiter zu spielen hatte, schmutzig und schwitzend in einem riesigen Werk, dem, wenn die Kameras aus waren, unentwegt kühles Wasser gereicht werden musste.

Es war ein schöner Beruf. Aber zu Hause, in der privaten Welt, war nichts gekünstelt, musste nichts mit Konfetti berieselt werden, damit der Eindruck von fröhlicher Buntheit entstand.

Alles in die große Schrottpresse

Traudi, er hatte sie 1976 geheiratet, mochte das Wasser wie er. Sie fuhren, wann immer es ging, zum Boot und zum Wassersportverein, genossen jeden Moment dort draußen, die Leute, die Feste. „Das war unser Leben“, sagt Traudi. Nach dem Kinderparadies ein Erwachsenenparadies.

Das ebenso zersprang, zumindest im Hinblick auf die Arbeit. Die Wende kam, das „Fernsehen der DDR“ wurde abgewickelt. Rudi hatte als junger Mann die Studios mit aufgebaut; mit 53 musste er alles in die große Schrottpresse werfen, komplette Dekorationen, die man sehr gut hätte weiterverwenden können.

Es fühlte sich an, als würde er nun selbst auf dem Müll landen. Plötzlich brauchte man ihn nicht mehr, obwohl er ein ausgezeichneter Handwerker war. Er fraß den Kummer in sich hinein und wurde krank. Lief noch geräuschloser als ohnehin, eine Fähigkeit, die er beim Fernsehen gelernt hatte, wenn alle während einer Aufzeichnung mucksmäuschenstill sein mussten. Ein Schleicher sei er gewesen, sagt Traudi. Jemand, der sich nicht in die erste Reihe drängte, auf leisen Sohlen durchs Leben lief. Leise, doch aufrecht – und jetzt: gebeugt. Eine unsinnige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme folgte auf die nächste. Er bewarb sich, etwa bei der UFA, aber in seinem Briefkasten landeten ausschließlich Absagen.

Er ging putzen. Seinem Herz tat das ständige Treppauf, Treppab gut, für seinen Kopf war es eine Katastrophe. Er war doch Tischler und Bootsbauer.

Die Jahre der Rente wurden dennoch gut. Enkel kamen. Wie gut, dass er kein alter, klappriger Großvater war, für all die Unternehmungen. Die Mädchen wussten, wie sie ihn um den Finger wickeln konnten und er ließ es sich lachend gefallen. Er kaufte sich doch noch ein Auto und fuhr mit Traudi nach Landskron, das längst Lanškroun hieß. Steht das Kindheitshaus noch? Es stand.

Meistens aber ging es an die Havel, das Wasser war ihm ja, gerade auch in schmerzlichen Zeiten, geblieben. Er sprang auf sein Boot, stellte sich hinters Steuer, Enten, Schwäne zogen an ihm vorbei, er steckte seine Pfeife an, die Mücken torkelten zurück zum Ufer, und er machte sich auf den Weg.

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