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Ursula Hell

© privat

Nachruf auf Ursula Hell: Bei den Männern war sie zögerlicher

„Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich Rennfahrerin geworden!“ - Doch Pflichten und Freuden tarierte sie sorgfältig aus

Stand:

Sie wuchs auf wie eine Prinzessin, in einer Villa, in Allrode im Harz. Dem Vater gehörte einer der größten Polsterfabriken im Land, und so trat er auch auf. Ein Mann von Welt, der seine Tochter gern mit auf Geschäftsreisen nahm, kaum da sie laufen konnte. Die Ehefrau ließ er lieber daheim, denn ihm flogen die Herzen vieler Frauen zu. Ursulas Mutter kümmerte sich derweil ums Geschäft, und da es immer an Arbeitskräften mangelte, erwarb sie als eine der ersten Frauen in Deutschland den Lkw-Führerschein. „Mensch Fräulein, fahren Sie mal lieber einen Kinderwagen“, spottete der Ortspolizist, als er sie das erste Mal am Steuer sah. Aber Ursulas Mutter ließ sich keine Frechheiten gefallen. Auch nicht von ihrem Mann. Als ihr seine Amouren zu viel wurden, ließ sie sich scheiden, „schuldlos“, worauf sie größten Wert legte.

Sie zog mit ihren Töchtern nach Berlin, erwarb 1936 ein kleines Haus nahe der Krummen Lanke, am Waldesrand, und überstand dort den vorfristigen Untergang des „Tausendjährigen Reiches“ nahezu unbehelligt. Ihr geschiedener Mann starb verarmt in der Ostzone. Aus seiner Fabrik wurde ein Volkseigener Betrieb. In Zehlendorf hingegen ließen es sich die drei Frauen so gut gehen, wie es eben ging.

Die Mutter kochte gern, und sie rauchte gern. So wurde sie 98 Jahre alt, „nicht trotz, sondern wegen Peter Stuyvesant“, wie sie immer betonte. Ursula lebte gesünder und sie wusste früh, was sie werden wollte: Ärztin. Sie war keine Freche, aber eine Aufgeweckte. Sie hatte einen spanischen Verehrer, mit dem sie sich auf Französisch Briefe schrieb, und sie bekam einen Studienplatz, nicht zuletzt, weil die Männer in den Krieg ziehen mussten. Ihre Schwester sprach gut Englisch, liebte London, denn man war nicht politisch, auch die Nachbarn nicht. Viele Freunde starben im Krieg, aber das ließ Ursula nicht an sich heran. „Nur die guten Gedanken denken.“ Zuhause kümmerte sich die Mutter, es wurde viel gefeiert und viel gelacht im Frauenhaushalt, „bis der Knopf von der Bluse flog“. Aber die Front rückte näher und der Weg zur Humboldt-Universität war weit. Immer, wenn sie zurückkam, hatte sie Angst, ob das Haus noch stand, wenn sie um die Ecke bog.

Am Ende ihrer kleinen Straße wohnte ein junger Arzt, den kannte sie noch aus dem Sandkasten, und als der Krieg vorbei war, heiratete sie ihn recht zügig, denn das erste Kind war schon unterwegs. Ein Sohn und eine Tochter und ein heiles Zuhause - das Glück schien vollkommen, aber es hielt nicht lange. Ihr Mann wurde nur 40 Jahre alt, er starb 1959.

Die Mutter blieb standhaft am Herd, und Ursula ging arbeiten. Zunächst in der Klinik, was ihr gut gefiel, wenn nur mancher Vorgesetzte nicht gewesen wäre. „Ich habe sie und nicht ihre Kinder engagiert“, wurde sie abgekanzelt, wenn sie in Notfällen nach Hause eilen musste. Nach zwei Jahren wechselte sie zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen, als Vertrauensärztin, vier Mitarbeiter hatte sie zu dirigieren. Sie war streng, aber nicht pedantisch, wenn es darum ging, die Patienten auf ihre Arbeitsfähigkeit hin zu prüfen.

Abenteuerreisen missbilligte sie

Ihre Mittagspausen liebte sie. Denn sie ging gern gut Essen, und wenn Zeit blieb, bummelte sie durch das Modehaus Zenker auf der Suche nach Schnäppchen. Sie war eine gutaussehende Frau, die flott daherkam, gern auch im Auto. „Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich Rennfahrerin geworden!“

Bei den Männern war sie zögerlicher. Da gab es einen Architekten in den 60er Jahren, aber der fand als verheirateter Mann keine Gnade in den Augen der Mutter. Viele Jahre später, Mitte der 80er, trat Wolfgang in ihr Leben, ein Geschiedener, mit dem sie nette Samstagabende verbrachte. Sie servierte Sherry, kochte, wiewohl das nicht zu ihren Talenten gehörte, und verabschiedete ihn nach einigen Jahren wieder. Insgesamt waren da mehr Katzen als Männer in ihrem Leben, fünf an der Zahl, die sie vom Bauernhof holte oder aus dem Tierheim. Am treuesten aber war sie ihrer Mutter, die bis zum Tod im Jahr 1994 im Haus lebte. Anfangs als Herrscherin, dann unmerklich, hatte Ursula das Sagen.

Einsamkeit kannte sie nie. Mit dem Sohn fuhr sie jeden Donnerstag ins Umland, wo sie gut Essen gingen. Mit ihrer Tochter telefonierte sie jeden Morgen, und sie unternahm gern Städtereisen mit ihr - deren Abenteuerreisen in ferne Länder missbilligte sie hingegen. Österreich war ihr liebstes Ziel, dort hatte sie eine kleine Wohnung in Maria Alm, wo viele ältere Damen von ähnlicher Wesensart gern Urlaub machten.

Daheim in Berlin waren Pflichten und Freuden sorgfältig austariert. Philharmonie und Gartenpflege, denn Hortensien können zu einer unzähmbaren Lebensaufgabe heranwachsen, wenn ihre Zahl nicht beschränkt wird. Als sie schwächer wurde, verweigerte sie alle Hilfsmittel. Rollator niemals, kein Hörgerät, kein Rollstuhl, allenfalls ein Stockschirm als Stütze oder den Einkaufswagen als heimliche Gehhilfe.

Der einzige Mann, dem sie im Alter noch erhebliche Sympathien entgegenbrachte, war Günter Jauch. Sie war nicht frömmelnd, „Um Himmels Willlen“, aber die Serie mochte sie, weil Frauen da das Sagen hatten, obwohl sie in Nonnengewändern und hinter Klostermauern versteckt waren.

Als sie die Zeitung abbestellen musste, war sie tieftraurig. „Wenn ich nicht mehr sehen kann, möchte ich nicht mehr leben.“ Aber ganz so streng sah sie es dann doch nicht. Zumindest solange ihr die Nudeln mit Pfifferlingen von Butter Lindner noch schmeckten. Was ihre Beerdigung anbelangte, hatte sie, wie immer im Leben, eine sehr klare Vorstellung von dem, was getan werden musste. Keine moderne Musik, sondern der dritte Satz der dritten Sinfonie von Brahms. Eine musikalische Perle, so die Charakterisierung Clara Schumanns, „von einer Wehmutsträne umflossen“. Und als lebenslängliche Aufheiterung der Angehörigen links am Grabstein eine Rose, aber nicht irgendeine, sondern die Beetrose „Aspirin“, weil sie häufiger blüht als viele andere.

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