zum Hauptinhalt

© Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Nachruf auf Stella Chiweshe: Telefon zu den Ahnen

Das Instrument, das sie erlernte, war verboten: viel zu afrikanisch. Dann wurde sie ein Star - in Simbabwe. In Berlin kannten sie nur wenige.

Als Stella geboren wurde, hieß ihr Land noch Rhodesien und war von den Briten besetzt. Sie selber hieß auch nicht Stella, sondern Rimbisai. Ihr Volk, die Shona, glaubten nicht an den Gott der Kolonialherren, sie sprachen mit ihren Ahnen. In heiligen Zeremonien nahm ein Medium Kontakt auf, man konnte den gestorbenen Vätern und Müttern Fragen stellen, sie um Schutz und Glück bitten. Begleitet wurde dies durch die Klänge der Mbira, einem Zupfinstrument mit 20 Metallzungen und einem hölzernen Klangkörper, das sphärische, meditative Töne hervorbringt. Wie ein Telefon, so sagte es Stella einmal, helfe die Mbira, die Verbindung zwischen Medium und Ahnen herzustellen.

Stellas Großmutter war ein Medium. Eines Tages, Stella war noch sehr klein, prophezeite sie, dass es dereinst vier Mbira-Spieler in der Familie geben werde. Ob sie dabei auch Stella gesehen hatte? Männer hatten das Sagen in dem Land, Frauen kümmerten sich um Küche und Kinder. Mbira spielten sie nicht. Die britischenen Herrscher und ihre Kirche verboten das Instrument und die heiligen Zeremonien sowieso. Zu viel Afrika, zu wenig Christentum.

Hatte sie nicht auch zehn Finger, genau wie die Männer?

Stellas Vater arbeitete in der Stadt, ihre Mutter blieb zuhause. Damit das Mädchen in die Schule gehen durfte, musste es getauft werden. Und so bekam es seinen neuen englischen Namen; aus Rimbasai wurde Stella. Die Nonnen, die die Schule leiteten, waren streng, besonders zu Stella, da sie Fragen stellte, zur Jesus-Geschichte etwa. Die Mutter schimpfte, wenn Stella durch das Haus tanzte und dabei Melodien summte. Unnützes Zeug sei das und würde sie von ihren Pflichten abhalten. Doch die Töne waren in Stellas Kopf, dazu der Wunsch, eines Tages die Mbira spielen zu können. Jahrelang bettelte sie ihren Onkel an. Hatte sie nicht auch zehn Finger, genau wie die Männer? Warum solle sie als Frau nicht auch spielen dürfen? Endlich gab er nach und zeigte ihr die ersten Töne, Melodien und Zupfmuster. Heimlich, es durfte keiner wissen.

Den Mann, den sie heiraten sollte, hatte sie nie zuvor gesehen. Er aber sie. Hübsch fand er sie und anmutig, also bat er die Eltern um ihre Hand. Sie willigten ein, und Stella zog zu seiner Familie. Als sie schwanger war, konnte sie ihr erstes Lied auf der Mbira spielen. Ihr Mann konnte Fußball spielen. So gut, dass er als Profi nach Europa zog. Als sich abzeichnete, dass er nie wieder zurückkommen würde, kehrte Stella zu ihren Eltern zurück, inzwischen mit zwei Kindern. Unermüdlich übte sie das Spiel auf ihrem Instrument und trat sogar bei den ersten geheimen Zeremonien auf. Das war gefährlich, hätte man bei einer Straßenkontrolle ihr Instrument entdeckt, wäre sie im Gefängnis gelandet.

Ihre Tochter erinnert sich, wie sie zusammen mit ihrer Mutter und Großmutter Holz sammeln war, das sie auf dem Kopf gestapelt nach Hause trugen. Als Stella das Bündel absetzte, entdeckte sie darauf ein Chamäleon. Sie schrie auf und hatte seitdem Angst vor diesem Tier. Weniger Angst hatte sie, den Männern zu zeigen, wo es langging. Als ein Lehrer in der Schule ihre Töchter geschlagen hatten, stürmte sie in den Klassenraum und stellte ihn lautstark zur Rede. Nachdem der Großvater gestorben war, übernahm sie die Rolle der Beschützerin für den Rest der Familie, Großmutter, Mutter, Schwester. Männern, die sich ungebührlich verhielten, verpasste sie Ohrfeigen und warf sie aus dem Haus. Für ihre Töchter musste sie Vater und Mutter zugleich sein, sehr streng und dennoch mit Liebe. Die beste Bildung sollte es sein, jene, die sie sich gerade noch leisten konnte.

Sie brachte das Geld nach Hause

1965 erklärte sich Rhodesien unabhängig von der Britischen Krone, 1970 wurde das Land zur Republik mit einer strikten Trennung von Weiß und Schwarz nach dem Vorbild des südafrikanischen Apartheitsregime. Stella konnte offener auftreten, auch auf Hochzeiten und Beerdigungen. Sie wurde gebucht, hatte einen Kalender, in dem sie alle Termine eintrug und nahm den Bruder der Oma und den Bruder ihrer Mutter mit: Zwei Mbira, eine Rassel, dazu sang Stella rituelle Verse und auch eigene Texte. Sie war es nun, die das Geld nach Hause brachte.

1974 nahm sie ihre erste Single auf, „Kasahwa“ hieß das Lied. Eine gewaltige Stimme aus dem Himmel habe zu ihr gesprochen und ihr gesagt, dass die „Knochen der Menschen und die Seele der Erde“ diesen Song dringend bräuchten, so hat sie es später dem Deutschlandfunk erklärt. Stella spielte Konzerte, nahm Platten auf, die sich immer besser verkauften, sie wurde berühmt.

Und aus Rhodesien wurde Simbabwe. Mit der „National Dance Company of Zimbabwe“ tourte Stella ein paar Jahre durch die Welt, sie trat in Australien auf, in Indien, Jugoslavien, Deutschland. Die Frau, die als Mädchen im Busch Feuerholz gesammelt und in aller Heimlichkeit die ersten Töne auf der Mbira gespielt hatte, fuhr jetzt in die Welt hinaus.

In Deutschland lernte sie Peter kennen, der dort die Tour organisierte. Sie wurden Freunde, Liebende, 1988 schließlich Ehepartner. Peter war der ruhige, Stella die starke, fröhliche. Sie wohnten in der Nähe vom Winterfeldplatz, hier gab es das „Slumberland“, eine Bar, die Peter mitgegründet hatte. Hier gab es den Markt, der Stella faszinierte, weil es einfach alles gab.

In Simbabwe war sie ein Star, in Berlin kannten sie nur wenige. Das machte ihr aber nichts, sie liebte Peter, sie liebte die Stadt. Von hier aus reiste sie in die Welt, zu Konzerten, spielte auf kleinen Bühnen und großen Festivals. Gerne ging sie ganz alleine in die Grunewald, setzt sich ans Ufer und spielte ihre Mbira nur für das Wasser und die Vögel.

Peter starb an Krebs, und auch Stella erhielt eine schlimme Diagnose. Es blieben ihr nur ein paar Wochen. Ihre Tochter brachte sie in die Heimat, ins Haus der Familie. Dort kümmerten sie sich, wachten an ihrem Bett, bis sie starb und zu ihren Ahnen ging. Eilmeldung, Sondersendung, ganze Zeitungsseiten, Staatsbegräbnis – in Simbabwe war eine Nationalheldin gestorben. Stella, die eigentlich Rimbisai hieß, und von der in Berlin kaum jemand etwas weiß.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false