zum Hauptinhalt
Völlig überfüllte U-Bahnen sind in Berlin keine Seltenheit.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Nahverkehr in Berlin: Wagen fehlen: BVG will notfalls U-Bahnlinie einstellen

Volle Züge, altes Equipment, fehlende Wagen: Die BVG hat große Probleme im Untergrund. Sogar an die Einstellung einer Linie wird gedacht.

Voll, voller und noch voller. Fahrgäste der U-Bahn spüren es täglich: Der BVG fehlen Fahrzeuge – die Einheiten, die fahren, sind tagsüber meist überfüllt. Auf den Linien U 1 (Warschauer Straße–Uhlandstraße) und U 3 (Warschauer Straße–Krumme Lanke) kann die BVG derzeit bei mehr als der Hälfte der Fahrten nur Kurzzüge mit vier statt sechs Wagen einsetzen. Maximal möglich wären sogar Acht-Wagen-Züge.

Der Fahrzeugbestand umfasst rund 1300 Wagen. 998 werden nach Angaben von Sprecherin Petra Reetz für den Normalbetrieb täglich benötigt. Am Freitag hatten 78 Wagen gefehlt, weil sie außerplanmäßig in der Werkstatt waren; 48 davon mussten von Schmierereien befreit werden. Dabei geht es um große Flächen: 60 Quadratmeter bis 80 Quadratmeter werden nach Angaben von Reetz nicht selten auf einen Schlag besprüht. Das Entfernen ist aufwendig – und braucht Zeit, in der die Züge dann fehlen.

S-Bahn bleibt auch mit Graffiti im Verkehr

Die BVG will Schmierereien an den Zügen umgehend entfernen, damit die Schmierer sich nicht lange an ihren Werken erfreuen können. „Lassen wir die Wagen mit Graffiti fahren, nehmen die Schmierereien weiter zu“, sagte Reetz. Besonders vor und an Wochenenden nehme die Zahl der Taten zu, weil dann auch viele von auswärts in die Stadt kämen. Berlin gilt in der Szene als Graffiti-Hochburg.

Es kann ja nicht Sinn und Zweck sein, es den Sprühern mal so richtig zu zeigen, indem man gar keine Züge mehr fahren lässt. Ist die Not groß, ist es leicht einen Schuldigen zu finden. Nur bei der BVG will es keiner gewesen sein.

schreibt NutzerIn kepler

Die Abstellanlagen werden zwar überwacht, doch den Schmierern gelingt es fast immer, ihr Werk zu verrichten. Selbst in Bahnhöfen besprühen sie haltende oder anfahrende Züge – einmal sogar vor den Augen des damaligen U-Bahnchefs, der im Zug saß.

Die Deutsche Bahn ziehe beschmierte Züge in der Regel nicht sofort aus dem Verkehr, sagte ein Sprecher. Man versuche, die Wagen erst zu reinigen, wenn sie planmäßig in die Werkstatt müssen. Vor allem die S-Bahn hat keine Reserven für außerplanmäßige Werkstattbesuche. Sie kann nicht einmal ihren Normalbetrieb fahren, weil es zu wenig Fahrzeuge gibt.

"Man muss Prioritäten setzen"

Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb steht auf Seiten der Bahn. „Bei der BVG knirscht es so sehr, dass man Prioritäten setzten muss“, sagte Wieseke. Auch wenn es nicht schön sei, sei es besser, beschmierte Züge weiter fahren zu lassen als Einheiten mit weniger Wagen einzusetzen. Die Senatsverkehrsverwaltung geht nach Angaben ihrer Sprecherin Dorothee Winden davon aus, „dass die BVG alle Anstrengungen unternimmt, durch effiziente Werkstattabläufe ein Maximum an sauberen U-Bahn-Fahrzeugen für die Fahrgäste zur Verfügung zu stellen“.

Aber nicht nur Graffiti führt zum Ausfall. Am Freitag fehlten weitere 26 Wagen, die einen Defekt hatten. Die zum Teil mehr als 50 Jahre alten Züge sind störanfällig – und Reparaturen würden auch immer aufwendiger, sagte Reetz. „Beim Einsatz der Züge müssen wir jeden Tag jonglieren.“ Mal komme man gut über die Runden, mal nicht.

Der Versuch, auf die Schnelle neue Züge zu kaufen, ist vorläufig gescheitert. Die BVG wollte 80 Wagen aus einer laufenden Serie für sie bei Stadler ohne neue Ausschreibung bestellen – begründet mit einer Notlage im Fahrzeugbestand. Anders als geplant, kann eine Baureihe, F 79 genannt, nicht mehr wie vorgesehen für eine weitere achtjährige Nutzung instandgesetzt werden, weil Rissschäden nicht mehr beseitigt werden können.

Nach Ansicht der BVG ist der betriebssichere Einsatz der einst 70 Wagen ab 2019 nicht mehr gewährleistet. Erst jetzt musste nach Angaben von Reetz wieder eine Zwei-Wagen-Einheit stillgelegt werden, weil sie nicht mehr betriebssicher war. Und jeder Wagen, der nicht fahren könne, tue weh, sagte die Sprecherin.

Schlimmstenfalls wird die U 4 eingestellt

Gebremst wurde die BVG von Siemens. Der Konzern, der selbst – anders als Stadler – aktuell keine Züge für das Berliner Netz liefern kann, legte Einspruch gegen den Kauf ohne Ausschreibung ein, verlor vor der Vergabekammer und klagt jetzt mit Aussicht auf Erfolg vor dem Kammergericht. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 16. Oktober angesetzt. Weil die BVG keine Zeit verlieren will, hat sie nach Tagesspiegel-Informationen das Gericht gebeten, den Termin vorzuverlegen.

Scheitert der Kauf, wird es auf weiteren Linien verstärkt Kurzzüge geben oder Fahrten fallen gleich ganz aus. Und wenn der Bestand bei den U-Bahn-Zügen für die Linien U 1 bis U 4, die schmalere Fahrzeuge haben als die anderen Linien, zu sehr abnimmt, ist man auf den schlimmsten Fall auch schon vorbereitet in der BVG-Zentrale: Dann wird die Linie U 4 zwischen Nollendorfplatz und Innsbrucker Platz wohl eingestellt.

Bereits im Jahr 2009 hatte die BVG wegen des damaligen Fahrzeugmangels prüfen lassen, ob die U-Bahn-Linien U 3 und U 4 stillgelegt werden könnten. Danach stimmte der Senat dem Kauf neuer Züge zu. Siemens ist nicht so einsichtig.

Zur Startseite