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Am Fuße des Funkturms.

© Sören Stache/dpa

Heimat Hauptstadt: Nennt mich Berlinerin!

Ich lebe in dieser Stadt, weil ich sie liebe. Vielleicht auch, weil ich hier geboren bin. Und es nicht geschafft habe, wegzugehen. Wohin auch? Eine Polemik.

Meine Kollegin Ariane Bemmer lebt seit 20 Jahren in Berlin und ist froh, sich nicht zugehörig zu fühlen. Weil sie sich hier wie eine Entwicklungshelferin in einem Krisengebiet vorkommt. Das hat sie in einer Polemik an dieser Stelle geschrieben. Sie hat eine polemische Antwort verdient.

Ja, genau! Es gibt so viel zu Meckern in dieser Stadt. Das haben sich die Zugezogenen ja auch schon gut abgeguckt von den gebürtigen Berlinern. Meckern, dafür sind wir schließlich bekannt. Doch wenn es nur das wäre: Warum sollten dann so viele Menschen hier leben wollen?

Der Zuzug ist der rote Faden in der Geschichte der einstigen Frontstadt. In  den vergangenen Jahrzehnten zunächst als Paradies der Peacemaker, die sich vor dem Bund drücken wollten. Dann als Ort, an dem leben und leben lassen die Devise war, preußisch gesagt: jeder nach seiner Facon. Hier konnte man sein: Schick und abgeschieden wie in Zehlendorf, bunt, billig und unanständig wie in Kreuzberg oder außen vor im Grünen wie in Frohnau.

Zehntausende „westdeutsche“ Schulklassen oder Abiturjahrgänge genossen die vielseitige, spannende Stadt mit ihren sperrstundenfreien Nächten, erlebten den leicht gruseligen Schauer beim eintägigen Besuch des Ost-Teils der Stadt und jumpten am Abend fröhlich zurück in die bunte Welt von West-Berlin. Und wollten am liebsten hier leben.

Die spezielle DNA der Stadt hat alle hierhergelockt

Dann fiel die Mauer. Nun kamen alle. Von überall. Aus der ganzen Welt. Und ja, viele sind geblieben und haben diese Stadt reicher gemacht. Aber wo ist der Beleg für die These, dass „alles, was an Berlin gut, interessant, cool, überregional bekannt und vielleicht sogar liebenswert ist“ von Nicht-Berlinern auf die Beine gestellt wird? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Weil die Berliner so viel aus ihrem speziellen Schicksal gemacht haben, ist die Stadt über die Jahrzehnte – Blockade, Teilung, Berlin-Zulage – ein Sonderfall in der deutschen Städtelandschaft geworden. Nur hier lebt die DNA fort, die mit den Begriff Senatsreserve mehr verbindet, als Vorbehalte in der Politik und in Pankow mehr verortet, als  den Prenzlauer Berg. Nur hier lässt sich überall Geschichte atmen, hat nahezu jeder Kiez seine Historie. Die weiterentwickelt wird. Von Ur- und zugezogenen Berlinern.

Gebraucht werden Macher, nicht Zugucker

Ja. Das heute, hier und jetzt ist anstrengend. Nicht zuletzt, weil die Stadt zu klein ist für die vielen Menschen. Und weil sich einige nicht benehmen können. Gäste wie Berliner. Niemand wird daran gehindert, mitzudenken, mitanzupacken, mitzugestalten. Zaungast? Na, danke. Gebraucht werden Menschen, die sich identifizieren, die Bock haben auf Berlin, die nicht nur zuschauen, sondern mitmachen. Die sich verantwortlich fühlen, die sich engagieren, die Ideen haben und Spaß.

Klar, zu meckern gibt’s immer was. Aber vieles,  von „gestörter Verkehrsführung“ über die  „hirnrissige Stadtplanung“ bis zum „verwahrlosten Alki- und Drogenelend“ hat vor allem mit der Anziehungskraft dieser Stadt zu tun: Zum einen, weil sie so schnell wächst, zum anderen, weil nicht nur sozial engagierte, betuchte Samariter kommen, sondern auch die, die in der babylonischen Stadt untertauchen wollen.

Ich schlage vor, die Daunenjacke auszuziehen und die Ärmel hochzukrempeln. Vom Zuschauen hat sich noch nie was geändert.

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