zum Hauptinhalt

Berlin: Neuer Nahverkehrsplan: Hauptsache pünktlich

Die Verkehrspolitik der nächsten Jahre steht vor einem gewaltigen Problem: Obwohl im öffentlichen Nahverkehr die Nachfrage potenziell zurückgeht, soll die Zahl der Fahrgäste insgesamt steigen. Durch den Ausbau des Schienennetzes und höhere Kosten für den Individualverkehr wollen die Planer in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern.

Die Verkehrspolitik der nächsten Jahre steht vor einem gewaltigen Problem: Obwohl im öffentlichen Nahverkehr die Nachfrage potenziell zurückgeht, soll die Zahl der Fahrgäste insgesamt steigen. Durch den Ausbau des Schienennetzes und höhere Kosten für den Individualverkehr wollen die Planer in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Kostenintensiver Straßenneubau und U-Bahn-Netzerweiterungen werden, so heißt es im Nahverkehrsplan, in Zukunft dabei eher die Ausnahme bilden.

Die Einwohnerzahl Berlins, die 1999 noch 3,4 Millionen betrug, wird sich nach den Prognosen bis zum Jahr 2004 um 61 000 verringern; leichte Zuwächse gibt es lediglich in Spandau, Treptow, Köpenick, Weißensee und Pankow. Zunehmen wird auch die Bevölkerungszahl im Umland. Weil sich parallel dazu in Berlin auch die Altersstruktur erheblich ändern wird - es gibt weniger Kinder, aber mehr ältere Menschen - werden bei den Fahrten mit Bahnen und Bussen vor allem im Schüler- und Studentenverkehr erhebliche Rückgänge erwartet. Gleichzeitig steigt der Autobestand von 353 Autos auf etwa 370 Autos - bezogen auf jeweils 1000 Einwohner.

Um den daraus resultierenden Rückgang bei den Fahrten mit Bahnen und Bussen auszugleichen, wollen die Planer gegensteuern. Im Nahverkehrsplan haben sie deshalb viele schöne Absichten formuliert. Anspruch und Wirklichkeit klaffen aber zum Teil noch weit auseinander.

Ein besonders ehrgeiziges Ziel ist die Vorgabe, dass 99 Prozent der Fahrten im Kalendermonat pünktlich sein sollen. Dabei gelten Abweichungen von mehr als drei Minuten als unpünktlich. Zu frühe Abfahrten, wie sie heute fast üblich sind, soll es gar nicht mehr geben. Annähernd pünktlich sind bisher die S- und die U-Bahn. Wie die 99-Prozent-Marke auch bei Straßenbahnen und Bussen erreicht werden soll, lassen die Planer offen. Auch die Bahn AG ist bisher daran gescheitert. Eine hohe Pünktlichkeitsrate schaffte nur die S-Bahn, so lange die Zahlen in den Bahnhöfen auf Tafeln noch veröffentlicht wurden. Gesichert werden sollen auch die Anschlüsse beim Umsteigen.

Vorgesehen ist ferner eine durchgehende Besetzung aller Bahnhöfe im Regionalverkehr sowie bei der S- und U-Bahn mit "ansprechbarem Servicepersonal, das durch das Tragen der Dienstkleidung sofort erkennbar ist." Derzeit geht der Trend jedoch in die andere Richtung. Die BVG hat ihre Zugabfertiger von den U-Bahnhöfen komplett abgezogen, seither sind die Stationen nur noch sporadisch besetzt. Selbst auf Bahnhöfen mit nur einem Ausgang, die nach dem Brand im Bahnhof Deutsche Oper im vergangenen Juli stets mit Personal besetzt sein sollten, ist davon oft nichts zu sehen. Und die S-Bahn hält zwar daran fest, Servicepersonal auf den Bahnhöfen zu lassen, die Zahl insgesamt soll aber nicht erhöht werden. Auch bei der S-Bahn gibt es deshalb zunehmend mehr Bahnhöfe ohne Personal, die Bahnsteige werden dann kameraüberwacht.

Einen weiteren Widerspruch gibt es beim Rauchverbot. Gemäß dem Nahverkehrsplan soll ein generelles Rauchverbot bei allen Verkehrssystemen durchgesetzt werden. Die Bahn AG aber hat im Regionalverkehr erst jetzt die Zahl der Raucherplätze im Zug verdoppelt.

Gleich eingeschränkt wird im Nahverkehrsplan selbst das Ziel, weitere Bahnhöfe bei der S- und U-Bahn mit Aufzügen auszustatten. Bis Ende 2001 sollen 111 S-Bahnhöfe (85 Prozent aller Stationen) und 57 U-Bahnhöfe (33 Prozent) einen behindertengerechten oder -freundlichen Zugang haben. Das Programm stockt aber vor allem bei der U-Bahn, für die der Senat zuständig ist. Aufzüge werden nur bei aufwendigen Sanierungen von Bahnhöfen, von denen es im Jahr meist nicht mehr als zwei gibt, eingebaut. Auf 28 U-Bahnhöfen sollen bis spätestens 2004 noch Aufzüge eingebaut werden - vorbehaltlich der Finanzierung. Und diese gibt es bisher nicht. Selbst auf dem für knapp 100 Millionen Mark sanierten Bahnhof Friedrichstraße fehlt bis heute ein Aufzug aus der Halle zum Zwischengeschoss der U-Bahn. Weiter warten müssen hier die Fahrgäste sogar auf die Rolltreppen von der Haupthalle zum Bahnsteig der Nord-Süd-S-Bahn, die beim Umsteigen die Wege erheblich verkürzen würden.

Umfangreich ist auch die Wunschliste im Nahverkehrsplan für den Bau von zusätzlichen Eingängen bei den S- und U-Bahnhöfen, die bis 2004 verwirklicht werden soll. Dabei fehlen bis heute auf dem bereits Ende 1993 wiedereröffneten Südring der S-Bahn die damals versprochenen weiteren Zugänge an den Stationen Witzleben (direkter Weg zum ICC) oder Hohenzollerndamm. Beim Anhalter Bahnhof ist der Zugang zur Stresemannstraße seit Jahren im Gespräch, nun kommt er (vielleicht) bis Ende des Jahres. Fest angekündigt ist immerhin der Baubeginn für den Zugang zur Waldbühne auf dem S-Bahnhof Pichelsberg - mehr als drei Jahre nach der Wiederaufnahme des Zugverkehrs.

Ein weiteres Ziel, der 24-Stunden-Betrieb bei der BVG, ist im ersten Anlauf bereits gescheitert. Der Rund-um-die-Uhr-Verkehr sollte im September 2001 eingeführt werden. Die BVG hat den Termin jedoch zumindest bis zum nächsten Jahr verschoben. Aber der Nahverkehrsplan soll ja bis 2004 gelten.

Zur Startseite