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Berlin: Neukölln will Rütli-Schock in Schub für Schulen verwandeln

Vor einem Jahr löste der Hilferuf der Hauptschule eine bundesweite Debatte aus Lehrer und Bildungspolitiker wollen den Schwung für weitere Reformen nutzen

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Für Neuköllns Schulstadtrat war das, was vor einem Jahr losbrach, Fluch und Segen in einem. „Ärgerlich und zugleich positiv“ empfindet der Sozialdemokrat Wolfgang Schimmang, welche Folgen der Brief des Kollegiums der Rütli-Hauptschule hatte, der am 30. März 2006 durch einen Bericht des Tagesspiegels öffentlich wurde. Darin sprachen die Lehrer von der Perspektivlosigkeit ihrer Arbeit und forderten, die Hauptschule als Schultyp aufzulösen – was damals als Kapitulation eines ganzen Kollegiums interpretiert wurde. Es folgte eine bundesweite Debatte über die Probleme der Hauptschulen, vor allem in armen Vierteln mit hohem Migrantenanteil. Heute wollen Schüler und Lehrer ihre Schule Eltern und Nachbarn mit einem Tag der offenen Tür vorstellen.

Die Folgen des Rütli-Schocks sieht Schulstadtrat Schimmang durchwachsen. Einerseits sei die Rütli-Schule durch die besondere Aufmerksamkeit zu einer „engagierten, normalen Hauptschule“ geworden, unterstützt durch drei Sozialarbeiter und eine neue Schulleitung. Außerdem gibt es kreative Projekte wie die von einem Studenten angeregte Marke „Rütli Wear“, bei der Schüler Kleidungsstücke gestalten. Andererseits ist die „Systemveränderung“ ausgeblieben, die von Schimmang und anderen Fachleuten geforderte Abkehr von der Hauptschule als „Restschule“ für Kinder ohne Chancen.

„Der Rütli-Brief war ein Fanal – der Auftrag daraus ist noch lange nicht erfüllt“, sagt Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Nach wie vor hätten drei von vier Neuköllner Jugendlichen keinen oder nur Hauptschulabschluss. Mit fatalen Folgen: Von der letzten Rütli- Abschlussklasse hätten von 60 Schülern gerade mal drei einen Ausbildungsplatz gefunden. Die wichtigste Botschaft des Brandbriefs für Buschkowsky: „Die Hauptschule als Struktur muss weg.“ Stattdessen favorisiert Buschkowsky, wie viele andere, die Aufteilung in Gymnasium sowie eine Schulform für alle anderen Kinder. „Aber das Beharrungsvermögen der Bildungsadministration ist stärker als gedacht.“ Außerdem lenke die „ideologische Debatte“ über die von der Linkspartei favorisierte Gemeinschaftsschule von praktischen Lösungen ab. Eine Konsequenz, die Buschkowsky und Schimmang ebenso favorisieren wie große Teile der SPD, ist der Ausbau der Haupt- zu Ganztagsschulen. Dafür will der Senat ab nächstem Jahr zusätzliches Geld ausgeben. „Diese Diskussion hat Rütli mit angefacht“, sagt Schimmang.

„Der Rütli-Schock war kurzfristig gut für die eine Schule, aber eine dauerhafte Verbesserung für alle Schulen ist nicht entstanden“, entgegnet der CDU-Politiker Sascha Steuer, der in Neukölln lebt und bildungspolitischer Sprecher seiner Partei im Abgeordnetenhaus ist. Gerade im armen Norden Neuköllns bestünden die alten Probleme weiter, sagt Steuer. Er wohnt gegenüber einer Schule, in der 95 Prozent der Kinder aus ausländischen Familien kommen. „Rütli hat gezeigt, dass man auch diese Schulen attraktiver machen kann“, sagt Steuer. Aber ohne ein Gesamtkonzept bliebe das nur Stückwerk.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) wollte sich zum Jahrestag nicht äußern und wird auch nicht zum heutigen Tag der offenen Tür kommen. „Die Schule bekommt Unterstützung durch den Senator“, sagt seine Sprecherin Bärbel Schubert nur. Der Senator habe sich kürzlich mit dem neuen Direktor Aleksander Dzembritzki getroffen, nach Ostern will Zöllner das ganze Kollegium besuchen, „um sich in Ruhe kennenzulernen“.

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