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Berlin: Nicht gerade ein Schnäppchen

Mit einem Asylbewerberpaar und der Chipkarte beim Einkaufen: Die Wege sind länger, die Produkte teurer

Parvaneh legt Möhren in den Einkaufskorb, eine Salatgurke und ein paar Stangen Sellerie. Mit ihrem Mann Dovoud macht die Informatikerin, die vor zwei Jahren aus dem Iran nach Berlin geflohen ist, heute nur einen kleinen Einkauf. Sie bezahlt, wie 2800 andere Asylbewerber und Flüchtlinge in Berlin, mit einer Chipkarte. 260 Euro Sozialhilfe werden pro Monat für das Paar auf der Karte gebucht – für Lebensmittel.

Genau diese Chipkarte will Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) jetzt abschaffen. An der Karte hatte es Kritik gegeben, unter anderem von Menschenrechtlern. Sie beanstandeten, dass Flüchtlinge durch die Karte diskriminiert würden. Außerdem seien die Einkaufswege oft zu lang, und bestimmte Produkte und Dienstleistungen könnten damit gar nicht bezahlt werden, etwa Schulbücher oder die Beratung durch Anwälte. Vom 1. Juli an sollen die Flüchtlinge die staatlichen Hilfen wieder in bar ausgezahlt bekommen.

In Hellersdorf, wo sein Wohnheim ist, kauft Dovoud nicht gerne ein. Dort hat er schlechte Erfahrungen gemacht: „Einmal hat sich eine Verkäuferin während des Einkaufs einfach die Chipkarte zeigen lassen, ob überhaupt etwas drauf ist“, erzählt er. Bekannte hätten ähnliche Erfahrungen gemacht, einmal habe eine Verkäuferin die Chipkarte sogar auf den Boden geworfen. Dort, sagt er, gehe er nicht mehr hin. „Ich will mich nicht erniedrigen lassen.“ Jetzt fährt der gelernte Industrieingenieur für jeden Einkauf von Hellersdorf aus zum Supermarkt in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg. Das ist unbequem für ihn und erst recht für seine Frau, die im achten Monat schwanger ist.

Am meisten ärgert sich Parvaneh darüber, dass sie nicht in den Billigläden einkaufen kann. „Blumenkohl kostet hier 1,99 Euro. Bei Lidl gibt es ihn diese Woche für 99 Cent“, sagt sie. Fotos kann sie von dem Geld auf der Chipkarte auch nicht entwickeln lassen. Und jetzt, wo das Baby unterwegs ist, macht ihr der Einkauf per Chipkarte richtig Probleme. „Ich wollte eine Babyflasche kaufen. Bei Woolworth hat die Verkäuferin gesagt, ich soll in einen Supermarkt gehen“, erzählt sie. Dort habe man sie wieder woanders hingeschickt. Widersprechen wollte sie nicht. Ihr Deutsch sei nicht so gut, und außerdem habe sie sich geschämt.

1998 hat Berlin das bargeldlose Einkaufen für Asylbewerber eingeführt. Alle Flüchtlinge, die in Heimen leben, müssen mit dieser Karte bezahlen. Bargeld haben Parvaneh und Dovoud pro Person nur 40 Euro im Monat zur Verfügung, für all das, was sich mit Chipkarten nicht bezahlen lässt. „Den Friseur, ein billiges Kartenhandy für Anrufe mit Verwandten, ein Eis unterwegs.“ Auch Alkohol und Zigaretten dürfen mit der Chipkarte nicht gekauft werden. „Und keine Kosmetika, etwa ein Lippenstift“, sagt Parvaneh. Gerne würden sich die beiden auch für einen Deutschkurs an der Volkshochschule eintragen. Aber mit den 40 Euro Bargeld monatlich, sagt Dovoud, kann er das nicht.

Zwischen den vollen Regalen bahnt sich das Paar den Weg zur Kasse. Fünf davon hat der Supermarkt, Nummer drei ist für Chipkartenzahler mit einem „Infracard“-Schild gekennzeichnet. Dovoud reicht der Verkäuferin, die ihn wie jeden anderen Kunden mit „Hallo“ begrüßt, seine Chipkarte und tippt anschließend, wie Kreditkartenzahler auch, eine PIN-Nummer ins Kartenlesegerät ein. Mit der Einkaufstasche machen sich beide Richtung U-Bahn auf. Auf die Wand am Eingang des Supermarkts hat jemand in schwarzer Schrift „Chipkarten abschaffen“ gesprüht.

Melanie Ottenbreit

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