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Berlin: O du Sportliche

Weihnachten im Millenniumsjahr 2000. War da was? Eisschnelllauf-Star Claudia Pechstein kann sich kaum erinnern. Ach ja – es schneite. Ein Fest mitten in der Saison kommt ihr ungelegen. Gänsebraten: nicht ihr Ding. Tannenbaum? Muss nicht sein. Nur eines: Kerzenlicht am 24.12.

Drei Jahre ist das neue Jahrtausend alt. So gesehen ist das Jahr 2000 noch nicht lange her – sollte man meinen. Aber manche Menschen empfinden das völlig anders. Eine schnelle Frau wie Claudia Pechstein etwa. Eine, die in Bruchteilen von Sekunden denken muss. Winzige Zeitabschnitte, die für die Eisschnellläuferin von enormer Bedeutung sind. Die über Sieg und Niederlage, über Triumph und Tränen entscheiden. Wie also war Ihr Weihnachten 2000, Frau Pechstein? „Das ist schon so lange her. Ich kann mich kaum erinnern.“ Sie sagt wirklich diesen Satz. Dann denkt sie lange nach, und zwischen ein paar Dehnungsübungen in der Sporthalle fällt ihr doch noch etwas ein: Am Nachmittag des Heiligabends fing es in Berlin ordentlich an zu schneien. Claudia Pechstein wurde davon überrascht, als sie vom elterlichen Mittagstisch nach Hause aufbrach. Die Straßen waren nicht geräumt, und mit ihrem Auto kam sie nur ganz langsam voran. Die Fahrt wurde zur Rutschpartie, und sie verbrachte etliche Stunden im Auto. Eine glatte Straße ist eben auch für eine Eisschnellläuferin etwas anderes als eine glatte Eisbahn.

Der magischen Jahreszahl 2000 misst die Sportlerin generell keine Bedeutung zu. Klar, sie hat in dem Jahr eine Menge Erfolge eingefahren, gewann zum ersten Mal die Mehrkampf-Weltmeisterschaft, war bei den Einzelstrecken auf 1500 und 3000 Metern erfolgreich und lag im Weltcup auf Platz2. Eine beachtliche Bilanz, sagt sich der Laie. Das muss doch als etwas Besonderes haften geblieben sein. Doch die 31-Jährige tickt anders; Sportler sind wahrscheinlich so. Sicher, sagt sie, waren das tolle Erfolge. Aber was sind WM-Siege schon im Vergleich zu einem Triumph bei Olympia? Schon damals hatte sie sich zum Ziel gesteckt, bei den Olympischen Winterspielen zwei Jahre später wieder ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Das sollte ihr gelingen. In Salt Lake City schaffte sie es gleich zwei Mal. Sie ließ ihre Konkurrentinnen hinter sich und siegte auf ihren Paradestrecken über 3000 und 5000 Meter. 2002, das Jahr ist aus ihrer Sicht viel magischer als 2000.

Eine Wintersportlerin muss vor allem in den kalten Monaten topfit sein. Dann werden Eisbahn, Trainings- und Krafträume zum zweiten Zuhause. Mitten in dieser Zeit liegt Weihnachten mit seinen vielen kulinarischen Versuchungen. An ein ausgiebiges Mahl mit schwerem Gänsebraten, Klößen, Rotkohl und Süßigkeitenteller, mit Lebkuchen, Schokolade oder Marzipan dürfen Athleten nicht denken. Für Claudia Pechstein kein Problem: „Das ist sowieso nicht mein Ding.“ Weihnachten feiert sie seit Beginn ihr Sportkarriere ohnehin en passant, zwischen Tür und Angel. Für die Jagd nach Geschenken hat sie keine Zeit, die Jagd nach Rekorden geht vor.

Am Morgen des 24. fährt sie wie an jedem anderen Tag zum Sportforum Hohenschönhausen. Während andere Menschen am Morgen den Weihnachtsbaum schmücken, absolviert sie ihre Trainingseinheiten. Auf Festschmuck verzichtet die Athletin leichten Herzens. „Wir haben genug Tannen vorm Haus“, sagt sie. Da brauche es drinnen keine geschmückte mehr. Den Abend verbringt sie beschaulich mit ihrem Mann im Haus südlich von Berlin – ohne weihnachtlichen Rummel. Nur eines, das muss auch bei einer Eisläuferin sein: Kerzenschein gehört zu einem besinnlichen Abend am 24. Dezember.

Lange kann Claudia Pechstein die stille Zeit nicht genießen; schon an den Festtagen sitzt sie auf gepackten Koffern. Zwischen Weihnachten und Neujahr stehen immer Wettkämpfe an. Im Jahr 2000 musste sie zum Beispiel nach Inzell reisen. Und auch in der romantischen bayerischen Winterlandschaft kamen kaum weihnachtliche Gefühle auf. Die Deutschen Meisterschaften im Mehrkampf hatten Vorrang. So ist das: Ein gutes Rennen verträgt sich eben nicht mit stiller Weihnacht.

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