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Alle Kleiderhaken sind besetzt. Mit einer Entspannung bei der Kitasuche ist erst wieder im August zu rechnen.

© Sebastian Kahnert/dpa

Oberverwaltungsgericht stärkt Berliner Eltern: Rechtsanspruch gilt trotz Kitamangel

Auch wenn es nicht genügend Kita-Plätze gibt, muss das Land klagenden Eltern innerhalb von fünf Wochen eine wohnortnahe Betreuung nachweisen. So hat es das Oberverwaltungsgericht entschieden.

Berlins Eltern können aufatmen: Ihr Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz besteht unabhängig von vorhandenen personellen oder räumlichen Kitakapazitäten. Dies entschied das Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg am Donnerstag. Damit änderte es eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts, wonach Familien mit der Kostenerstattung für eine privat organisierte Betreuung abgefunden werden dürfen.

Konkret ging es um zwei Eilverfahren, die Eltern aus Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg betrafen. Das Verwaltungsgericht hatte die Anträge der Kinder abgelehnt, weil in den betreffenden Bezirken die Kapazitäten erschöpft seien. Über diese Verfahren wurde am Donnerstag bei einem Erörterungstermin mit Vertretern der zuständigen Senatsverwaltung vor dem Oberverwaltungsgericht entschieden. Dabei wurde das Land Berlin verpflichtet, „den Antragstellern jeweils einen Betreuungsplatz in angemessener Entfernung zu ihrer Wohnung nachzuweisen“, teilte das Gericht mit. Als Umsetzungsfrist habe es dem Land Berlin fünf Wochen eingeräumt.

Fachkräftemangel entbindet das Land nicht

Die Richter bezogen sich auf den gesetzlichen Rechtsanspruch auf eine Kitabetreuung, der für Kinder ab dem ersten Geburtstag gilt. Diese Anspruch bedeute, dass die Kommunen die erforderlichen Kapazitäten zu schaffen hätten: „Fachkräftemangel und andere Schwierigkeiten entbinden nicht von der gesetzlichen Pflicht, Kindern, die eine frühkindliche Betreuung in Anspruch nehmen möchten, einen dem individuellen Bedarf gerecht werdenden Betreuungsplatz anzubieten“, erläutert das Gericht.

Zwar hatte eine der beiden klagenden Familien einen Platz angeboten bekommen. Der aber befinde sich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht in angemessener Nähe zur Wohnung, weil er deutlich über 30 Minuten Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt sei und auch nicht auf dem Weg der Eltern zur Arbeit liege.

Verwaltungsgericht hatte anders entschieden

Vor genau einem Monat, am 21. Februar, hatte das Verwaltungsgericht gänzlich anders entschieden. In dem Fall war es um eine Kreuzberger Familie gegangen, die ebenfalls keinen Kitaplatz hatte finden können: Die Großeltern mussten, wie berichtet, von Hamburg nach Berlin umziehen, damit die Mutter des einjährigen Enkelkindes ihre Arbeit antreten konnte. Nachdem die Eltern einen Eilantrag auf Zuteilung eines Kitaplatzes gestellt hatten. entschied das Verwaltungsgericht, dass zwar ein Rechtsanspruch bestehe. Allerdings könne das zuständige Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg diesen Anspruch „mangels Kapazität derzeit nicht erfüllen“. Verwiesen wurde auf den „nicht kurzfristig zu beseitigenden Fachkräftemangel“. Als Konsequenz entschied das Gericht, dass sich der Rechtsanspruch in einen Anspruch auf Kostenerstattung für eine „selbstbeschaffte Hilfe“ umwandle.

Da die betroffene Familie anschließend doch noch selbst einen Kitaplatz fand, verzichtete sie darauf, in die zweite Instanz zu gehen. In dem aktuell entschiedenen Fall aus Friedrichshain-Kreuzberg ging es demnach um einen anderen Fall.

34.000 Unterschriften für Online-Petition

Als Folge des Kitaplatzmangels gibt es inzwischen nicht nur etliche Klagen, sondern auch eine Online-Petition. Gestartet wurde sie von Christine Kroke, Mutter eines sechs Monate alten Jungen. Sie berichtet, dass sie fast 100 Kitas angeschrieben habe, ohne einen Platz zu finden. Zwei Wochen nach dem Start auf dem Portal www.change.org haben – unter der Überschrift „Wir brauchen Kitaplätze! JETZT!“ – bereits knapp 34.000 Unterstützer unterschrieben. Gefordert werden bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für die Erzieherinnen, mehr Plätze sowie ein zentrales Kitasuchsystem. „Wir alle sind verzweifelt“, schreibt Kroke. Die Petition richtet sich an Jugendsenatorin Sandra Scheeres und den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (beide SPD).

Tausende Plätze fehlen

Wie berichtet, verschärft sich der Kitamangel weiter: Aktuell klafft eine Lücke von rund 2500 Plätzen zwischen der Zahl der ausgegebenen und noch nicht eingelösten Kitagutscheine (8000) und den freien Plätzen (5500). Der Senat hat deshalb einige Notmaßnahmen formuliert. In einem aktuellen Schreiben der Jugendverwaltung an die Bezirke heißt es, als „Ultima Ratio“ könnten unter bestimmten Voraussetzungen übergangsweise private Betreuungskosten erstattet werden. Zuvor aber müssten die Bezirke alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu gehöre auch, dass die Jugendämter prüfen sollen, ob eine zeitweilige Überbelegung möglich ist – eine Empfehlung, die bei Kitaträgern Empörung auslöste. Von einem „absolut falschen Ansatz“ sprach auch die Landesvorsitzende der Grünen, Nina Stahr. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte bereits vor einigen Wochen die bis Sommer wachsende Versorgungslücke auf 3000 Plätze geschätzt.

Insgesamt gibt es in Berlin 174.279 Kitaplätze mit Betriebserlaubnis, davon können aber nur 163.717 belegt werden, wie gerade aus der Antwort auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner hervorging. Gründe für die Nichtbelegung sind Baumaßnahmen, Personalvakanzen, bestimmte pädagogische Profile und Gruppenzusammensetzungen, die eine „Vollnutzung der erlaubten Plätze nicht zulassen“, so Jugend-Staatssekretärin Sigrid Klebba.

Mit einer Entspannung bei der Kitasuche ist zu rechnen, wenn im August ein ganzer Jahrgang aus den Kitas in dies Schulen wechselt. Auch in den Vorjahren wurde das Kitaangebot zum Sommer hin immer knapp – allerdings meist erst ab Mai, so dass die Eltern die verbleibende Zeit überbrücken konnten. In diesem Jahr war das erstmals nicht mehr der Fall – eine Folge des Geburtenanstiegs und des erweiterten Rechtsanspruchs.

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