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Berlin: Ökobilanzierte Seligkeit

Deutsche Regionen, viel Osteuropa und Vorderasien: ein Rundgang über die Grüne Woche

Es mag sein, dass Bayern derzeit ein paar Probleme hat – aber nicht auf der Grünen Woche. Die Messe ist noch nicht einmal offiziell geöffnet, da drängen sich die Besucher schon ums alpenländische Brauchtum. Feinsinnig, geradezu kammermusikalisch wird zu Harfe und Akkordeon schuhgeplattelt, die Krachledernen glänzen, und bei der Hirschhornschnitzerei Stuhlmiller aus Niedering werkeln sie, als sitze noch der Kini auf dem Thron. Schöne Bilder, nostalgische Gefühle – die Berliner Großagrarmesse stellt hemmungsfrei jedes existierende Klischee aus, von den staubigen Störtebekereien der Mecklenburger bis zur Wodka- und Kosakenseligkeit der Russen, deren gewaltige Halle für die Grüne Woche etwa so wichtig ist wie Gasprom für die deutsche Energieversorgung.

Die Region Krasnodar bietet sogar eine Art Borat auf, einen Kerl im gelben Plüschanzug, der die Besucher zwingt, Nägel in einen Baumstamm zu prügeln. Zwei Jungwinzerinnen in Trachtenkleidern stampfen barfuß in einem Zuber mit Weintrauben herum, das hat einen ebenso hohen Nostalgiefaktor wie das Fleischwarenkombinat Tichoretzkij, das für seine Dosenwürste mit dem Bild eines satten Säuglings wirbt: „Die Mutter weiß, was sie kaufen soll.“ Allerdings wird die Tatsache, dass fast alle russischen Produkte nur in kyrillischer Ausstattung zu sehen sind, den Umsatz in Deutschland nicht unbedingt fördern.

Kaum noch notwendig zu erwähnen, dass der Krasnodar- Stand allein etwa die gleiche Fläche beansprucht wie die Präsentationen jener Länder zusammen, die zu nostalgischen Westberliner Zeiten allein halbe Hallen füllten: Dänemark ist gerade noch in Gestalt einer Hot-Dog-Bude mit angeschlossenem Softeisstand präsent, Norwegen und die Schweiz halten sich wacker, aber aus Übersee findet sich gerade noch irgendwo eine Känguruh-Bratwurst. Halb deutsche Regionenmesse, halb Osteuropa- und Vorderasienschau – dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort, mit besonderem Akzent auf allem, was Bio oder Öko heißt. Insofern ist es höchst passend, dass die Mongolei sich selbst „Ökoland“ nennt, eine gelungene Kombination von Not und Tugend.

Aber regional bedeutet hier keinesfalls konservativ. „Deutschland schmeckt bunt“ heißt eine wichtige Parole dieser Grünen Woche, und deshalb ist es durchaus konsequent, dass Brandenburg neben Hausgeschlachtetem aus Glashütte auch einen „Apfel-Aronia-Slush“ anbietet, der eine Art außerirdisches Eisgetränk zu sein scheint.

Die Niedersachsen servieren Matjes auf Schwarzbrot, aber in so kleinen Portionen, dass das Ergebnis „Tapas“ heißen darf und zeigt, welch internationales Flair längst auch den feuchten Marschen innewohnt.

Auch in Meck-Pomm gehen sie neue Wege. Bei der „Mecklenburger Landpute“ haben sie sich entschlossen, keine Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker oder Phosphate mehr zu verarbeiten, der rotgesichtige Geschäftsführer erläutert das, aber es gibt noch eine Überraschung: Zwei barbusige Schöne, deren Oberkörper irgendwie grün angestrichen und mit der Parole „Besser ohne!“ bedruckt ist, betreten die Bühne. Das gibt dem Moderator Gelegenheit, ein paar gepflegt jugendfreie Zoten zu formulieren, dann werden Häppchen im Publikum herumgereicht.

Bauernhof geht immer, und es bedarf nur einer entschlossenen konzeptionellen Abgrenzung, damit alle zu ihrem Recht kommen. Die Ökologen haben ihre Halle für sich, der „Erlebnisbauernhof“ dagegen, wohl noch ein Stück größer, beherbergt die eher technisch orientierten Großerzeuger. Hier hat sogar Lidl einen Supermarkt aufgebaut, allerdings nur zum Anschauen.

Das Schönste findet sowieso immer am Rand statt. Der Rinderzüchter, der versonnen einem enthusiastischen Riesenbullen das Fell kämmt, die beiden Koreaner, die kein Wort Deutsch sprechen, aber mit einem melodisch-heiteren Wortschwall in ihrer Muttersprache Myriaden von Wundersägen verkaufen: Sie beweisen, dass nicht alles hier rational und wissenschaftlich und ökobilanziert zu sein hat, um Gefallen zu wecken. Und das erhält den kuriosen Charme der Messe dann doch alljährlich am Leben.

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