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Berlin: Patriot und Visionär

Vor 90 Jahren wurde Walther Rathenau von Rechtsradikalen ermordet. Ein neuer Film erinnert an den Politiker und Industriellen.

Sein Name, sein ganzes Leben hat etwas Monumentales. Berliner Bürgersohn, deutscher Außenminister jüdischer Herkunft in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, den Deutschland begonnen hatte. Unterhändler der Verhandlungen in Rapallo, die Deutschland jedenfalls im Konflikt mit dem revolutionären Russland entlasteten. Sohn des Gründers der AEG, jahrelang selbst deren Präsident, sprich Direktor – verbunden mit der großen Zeit der Industriestadt Berlin, mit Turbinenhallen, Kabelwerken, elektrischen Beleuchtungsanlagen. Villenbesitzer im Grunewald, Autor philosophischer Bücher, Maler. All das war Walther Rathenau. Ermordet am 24. Juni 1922 auf der Koenigsallee in Grunewald, unterwegs im offenen Auto Richtung Auswärtiges Amt in Mitte. Zwei junge rechtsradikale Verschwörer hatten vom überholenden Auto aus geschossen und eine Handgranate geworfen, sie wollten die gerade entstehende Demokratie ruinieren. Als wichtiger Repräsentant der Weimarer Republik und jüdischer Bürger in einer Zeit des zunehmenden Judenhasses war Rathenau aus Sicht der drei strammrechten Verschwörer das perfekte Opfer.

An den vor 90 Jahren verübten Mord erinnern an diesem Wochenende Außenminister Guido Westerwelle und Vertreter des Bezirksamts Treptow-Köpenick. Denn dort, auf dem Waldfriedhof An der Wuhlheide, findet am Sonntag um 18 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Die – ebenfalls monumentale – Grabstätte der Familie Rathenau ist gerade fertig saniert. Das graue Bauwerk mit seinen vier Meter hohen Mauern und den beiden antikischen Figuren über dem Eingang erinnert nicht allein an die Rathenaus als Berliner Bürgerfamilie. Die Gründung des Waldfriedhofs geht auf einen Grundstückskauf Emil Rathenaus zurück, dem Patriarchen und eigentlichen AEG-Erfinder, Walther Rathenaus Vater. Die Grabanlage der Industriellenfamilie entstand in der Nachbarschaft der Kabelwerke Oberspree, die zur AEG gehörten.

So viel Bedeutung, so viel Gewicht – in Berlin, in der großen Politik. Beidem ist Rathenau nie ganz treu und verbunden gewesen – offenbar hatte er nicht selten das Gefühl, der Bedeutung und der Stadt entfliehen zu müssen. Das zeigt ein neuer Film: Eberhard Görner porträtiert Rathenau, indem er von seinem Landhaus in Freienwalde erzählt. Als „Schloss Freienwalde“ wird das Anwesen auch bezeichnet, das täuscht ein wenig. Der Bau wirkt nicht pompös oder so, als sei er der steinerne Ausdruck der Vermögenslage seines Besitzers. Das Haus mit der klar gegliederten Fassade – fünf gleich große Fenster im Parterre, fünf gleich große Fenster in der ersten Etage – verbindet Rathenau mit der preußischen Klassik. Darum ist es ihm wohl auch gegangen. Das jedenfalls transportiert Görners Film, in dem er vor dem Hintergrund einer melancholischen Musik Passagen aus Rathenaus Briefen und Schriften zitiert. „Ich erwarb das Haus, um es zu retten“, schrieb Rathenau einmal.

David Gilly, einer der Meister preußischer Baukunst, hatte das 1798/99 entstandene Landhaus entworfen. Die Königinwitwe Friederike-Luise verbrachte dort ihre späten Jahre. Preußen wollte das Gebäude zu Beginn des 20. Jahrhunderts loswerden – Rathenau kaufte es und richtete es weitgehend originalgetreu für sich als Landsitz her. Rathenau – so interpretiert der Historiker Martin Sabrow den Hauskauf – habe als preußischer Bürger jüdischer Herkunft altes preußisches Erbe bewahren wollen. Damit habe er zeigen wollen, was Assimilierung bedeuten könnte – wenn die Juden nicht immer ausgeschlossen würden.

Das Gefühl des Nicht-ganz-Dazugehörens muss Rathenau oft bedrückt haben – auch das erzählt der Film, indem er zu sehr stillen Bildern Rathenau sprechen lässt. Integriert, wie man heute sagen würde, war das jüdische Bürgertum im aufstrebenden Reich durchaus nicht, dafür gab es zu viele Antisemiten. Rathenau hatte das schon während seiner Zeit beim Militär bemerkt – seine Herkunft machte es ihm angeblich unmöglich, Reserveoffizier zu werden.

Noch mehr innere Spannung in einem Leben, das ohnehin vom Konflikt mit dem Vater geprägt war – und von widerstreitenden Interessen zwischen Ingenieurberuf und philosophisch-künstlerischem Anspruch an sich selbst. Immer habe Walther Rathenau der „Primus“ sein wollen, heißt es im Film, als Firmenvorstand, als Autor, Denker und Philosoph, als künstlerischer Mensch. So viel Anspruch an sich selbst – das dürfte heute manchen befremden. Freienwalde wurde für Rathenau zu dem Ort, an dem er mit Widersprüchen in sich leben und umgehen konnte. Dort schrieb er, dorthin lud er Freunde wie den Dramatiker Gerhart Hauptmann ein. Jahrelang war Freienwalde offenbar Rathenaus innerer Ruhepunkt. „Berlin liegt bis morgen früh in weiter Ferne“, schrieb er mal, die Stadt werde für ihn „zur Werkstatt“, nur für Stunden geöffnet.

Görner fängt die Atmosphäre des Hauses in ruhigen Bildern ein – lange Blicke aus dem Fenster auf alte Bäume, Perspektiven auf das modern anmutende, formenstrenge Treppenhaus, Bilder aus dem Park, der das Landhaus umgibt. So entsteht in Bildern und Filmsequenzen eine Atmosphäre, die von Stille, Konzentriertheit, dem langsamen Fluss der Zeit bestimmt wird. Immer wieder schreibt Rathenau, die Kenner seines Lebens tragen es in dem Film passagenweise vor, in Briefen an Freunde, wie gut ihm Freienwalde tue, was der Ort mit ihm macht. Märkisch-Oderland – „es befreit mich, wenn ich die große Weite des Horizonts sehe. Dann verschwindet das Tägliche“, schrieb Rathenau.

Rathenau nutzte seine Freiheit und freie Zeit zum Schreiben. In Freienwalde arbeitete er an dem Buch „Von kommenden Dingen“, einer geschichtsphilosophischen Schrift. Und auch die Überlegungen, die ihn im und nach dem Ersten Weltkrieg mitten in die Wirren der Reichspolitik führten, entstanden hier. Seine Ideen und Vorschläge passten in kein Schema. Dieser Mann, der erste Außenminister jüdischer Herkunft, schaffte es immer wieder, sich in allen Lagern Gegner zu schaffen. Dabei war er vor allem ein Patriot. „Dieses liebe Land blutet“, schrieb er. Er zweifelte an den deutschen Siegeschancen – das brachte die Bürger gegen ihn auf. Er warb am Ende des Krieges für eine staatssozialistische Übergangswirtschaft – das brachte die Rechte gegen ihn auf. Noch während Rathenau in Rapallo durch Verhandlungen mit dem revolutionären Russland die politische Lage Deutschlands entspannte, verschworen sich Rechtsradikale zum Attentat auf ihn. Drohungen nahmen zu. Am Ende aber war Freienwalde kein Ort mehr, an dem ihm das Herz aufging – eher der Ort, an dem er seine Einsamkeit besonders deutlich spürte.

Von kommenden Dingen. Walther Rathenau in Freienwalde. Ein Film von Eberhard Görner. Die DVD ist erhältlich in der Bad Freienwalder Tourismus GmbH und im Schloss Freienwalde. Schloss Freienwalde ist regulär mittwochs bis sonntags und auch feiertags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Weitere Informationen auf www.schloss-freienwalde.de

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