Berlin: Pfarrer und Gemeinderat der Kreuzberger Melanchtongemeinde liegen im Clinch
In Schülerhandschrift steht auf den Plakaten: "Wir wollen von Pfarrer Zeiske konfirmiert werden!" Fünf Jugendliche strecken die Transparente den nach und nach eintrudelnden Mitgliedern des Kirchenrats der Kreuzberger evangelischen Melanchthongemeinde entgegen.
In Schülerhandschrift steht auf den Plakaten: "Wir wollen von Pfarrer Zeiske konfirmiert werden!" Fünf Jugendliche strecken die Transparente den nach und nach eintrudelnden Mitgliedern des Kirchenrats der Kreuzberger evangelischen Melanchthongemeinde entgegen. Kerzen flackern in langen Reihen, und hinter Transparenten mit der Aufschrift "Mehr demokratische Entscheidung in der Kirche - Christian Zeiske muss bleiben" wird getuschelt: Lothar Wittkopf, Superintendent des Kirchenkreises Bezirk Mitte, Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer und Joachim Muhs, Personalreferent des Konsistoriums der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, gehen vorüber.
Zur Krisensitzung des Gemeindekirchenrates war am vergangenen Donnerstag die Prominenz der Berlin-Brandeburgischen Kirchenleitung erschienen, um zwischen den restlos zerstrittenen Fraktionen der Gemeinde zu vermitteln. "Der Gemeinderat hat sich ein Machtpotenzial gekrallt, und die Betonköpfe, die schon seit Jahrzehnten wiedergewählt werden, lehnen alles ab, was neu rein kommt", sagt die Demonstrantin Regina Schmutzler. Einer der "Neuen" war auch Pfarrer Christian Zeiske mit seinen Projekten einer "offenen Kirche". Er hat unkonventionelle Gottesdienste abgehalten, den Austausch mit anderskonfessionellen Gemeinden des Bezirks angeregt und eine Notaufnahme für Frauen in den Gemeinderäumen eingerichtet. Letzteres war nur durchsetzbar, erzählt Peter D. Wendt, ehemaliges Gemeinderatsmitglied, weil die Kreuzberger Bezirksverwaltung den Dusch-Einbau finanzierte. Jetzt bekriege man sich wegen einer neuen Stuhlordnung, und sogar der traditionelle Martinsumzug sei von der Gemeinderatsmehrheit abgelehnt worden.
Superintendent Wittkopf bestätigt, dass sich seit der Einsetzung Christian Zeiskes die Zerwürfnisse in der Gemeinde vertieft haben. Er bestreitet aber, dass sie entlang einer klaren Konfliktlinie verlaufen - hier die Anhänger einer auf Sozialarbeit ausgerichteten Kirche mit Christian Zeiske, dort die Frömmigkeitshüter mit Pfarrer Paolo Lucchesi. Vielmehr spalteten persönliche Empfindlichkeiten den Gemeinderat. 1997 häuften sich die Beschwerden und Abwahlanträge gegen Zeiske derart, dass die Kirchenleitung einen Kontrollbesuch beschloss. Das Ergebnis Anfang 1998: Den beiden Pfarrern ist aufsichtsrechtlich nichts anzulasten, die Gemeinde aber so zerstritten, dass der Rücktritt des gesamten Gemeinderats und eine Versetzung der Pfarrer die einzige Chance für einen Neuanfang bietet. Auch am Donnerstag konnten sich nach langer Verhandlung viele Gemeinderatsmitglieder nicht zu diesem Schritt durchringen. Generalsuperintendent Passauer räumte eine weitere Bedenkzeit bis zum kommenden Donnerstag ein. Den Demonstranten, die geduldig bei ihren Kerzen ausharren, passt der vorgeschlagene Kompromiss gar nicht. Sie wollen ihren Pfarrer behalten und nicht "wegen der Konservativen" an ein konfliktlosere Gemeinde abgeben. Wenn auch hier "die Kirche des Miteinanders" mit dem Abgang Zeiskes absterbe, dann will Cornelia Brankmann aus der Gemeinde und der Kirche wieder austreten. Viele hätten dies wegen der dauernden Streitigkeiten schon wahr gemacht, bedauert Wittkopf.
ak