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Berlin: Pfiffige Burgherren

Mit Tricks bauten die Belziger zur Wendezeit das altes Rathaus wieder auf und restaurierten ihre Festung. Dann nutzten sie ihre Heilquellen und setzen nun alles daran, Kurbad zu werden. Bald haben sie es geschafft

Der Karnevalspräsident hat es geschafft. Ohne ihn hätte Belzig nach der Wende nicht so schnell sein mausgraues Gesicht abgelegt, würde noch immer als langweilige Kartoffelgegend gelten, und die Burg wäre trotz ihres schönen Namens „Eisenhardt“ in sich zusammengebrochen. So aber kam alles anders. Die Kleinstadt putzte ihre barocken Fassaden heraus und ist auf gutem Wege, sich einen anfangs für utopisch gehaltenen Traum zu erfüllen: „Kurort Belzig“.

Besonders ein Mann hat diese Vision verwirklicht. Bürgermeister Peter Kiep, zur Wendezeit Chef des Belziger Karnevalsvereins und „bekannt wie ein bunter Hund“, wie er sagt. Er stellte sich zur Wahl und erreichte die absolute Mehrheit. Inzwischen arbeitet der frühere Fernsehmonteur in seiner zweiten Amtszeit.

An seinem Jackett leuchtet ein goldenes Abzeichen, das den Berliner Bären und den Brandenburger Adler friedlich vereint zeigt. Es ist das Emblem des gemeinsamen Karnevalsverbandes. Denn die Freizeit-Humoristen beider Bundesländer erkannten schon 1991 die Zeichen der Zeit und beschlossen ihre Fusion, während ansonsten noch immer um eine Länderehe gestritten wird. „Die Berliner waren stets wichtig für uns“, meint Peter Kiep mit einem verschmitzten Lächeln. „Die ließen schon vor über 100 Jahren ihr Geld in unserer Stadt.“ Das im Frühsommer 2002 eröffnete Belziger Thermalbad lebt zu mehr als der Hälfte von Berliner Gästen, die für die wohlige, gesunde Wärme des Wassers die etwas längere Anfahrt nicht scheuen.

Die Steintherme steht in der Tradition der einst aus Not geborenen Lungenheilstätte. Denn im aufstrebenden industriellen Berlin forderte Ende des 19. Jahrhunderts die Lungentuberkulose so viele Opfer, dass die Sozialversicherungen im Umland nach einem gesunden Klima suchten. Das entdeckten sie in den Wäldern südwestlich Berlins – in Beelitz, Treuenbrietzen und Belzig. Im Jahre 1900 eröffnete der Berlin-Brandenburgische Heilstättenverein seine Belziger Lungenheilanstalt, der drei Jahre später eine große Kinderabteilung folgte. Bis heute besticht die am Ende unseres Stadtspazierganges gelegene Anlage durch ihre Architektur des „märkischen Landhausstils“. Wenig später kaufte Siemens die Klinik – und nach 1945 war sie erst ein sowjetisches Militärhospital, dann heilte man hier wieder Tuberkulosekranke, ehe die Anstalt ab 1974 als Sanatorium für Menschen mit Herz- und Kreislaufleiden diente. Aber das spielte im öffentlichen Leben des Ackerbürgerstädtchens kaum eine Rolle, weshalb die Idee des ersten Nach-Wende-Bürgermeisters Kiep vom Kurort Belzig verwegen erschien. Außerdem galten nun für einen solchen Titel die strengen bundesdeutschen Kriterien. Der Wald allein reichte als Trumpf nicht aus, zumal das Stadtzentrum unter starkem Durchgangsverkehr litt. Doch Kiep und seineMannschaft ließen sich nicht beirren. Sie erinnerten sich an einen schlauen Coup Ende der 80er Jahre, mit dem sich die Stadt ihr Rathaus wieder aufgebaut hatte. Dieses mittelalterliche Haus am Markt war 1972 niedergebrannt. Doch in jener Zeit gab es vom DDR-Staat kein Geld und Material für neue Rathäuser – man investierte alles in den propagierten Wohnungsbau. Deshalb musste die Stadtverwaltung in Baracken und auf der Burg zurechtkommen. Als dies unerträglich wurde, kratzten die Stadtväter Geld zusammen und begannen 1988 mit einem als „Mehrzweckbau“ getarnten Rathausneubau auf den Grundmauern des alten Gebäudes – denn für solche Projekte gab es Zuschüsse. Und nun kam Glück hinzu: Mitten in den Bauarbeiten brach die DDR zusammen, es gab kräftige Subventionen, so dass aus dem einfachen „Mehrzweckbau“ ein richtiges Rathaus im historischen Gewand wurde – die Kopie des Renaissance-Vorgängerbaus.

Dieses Beispiel beflügelte die neue Rathausmannschaft. Sie schaffte es zunächst, die Verwaltung des neu gegründeten Kreises Potsdam-Mittelmark in die Stadt zu holen. Diese bietet heute die meisten Arbeitsplätze. Ein weiterer Erfolg war der Bau des Thermalbades. Man wusste zwar seit langem von den warmen Quellen, aber erst jetzt wurde die Chance eines Gesundheitstempels ergriffen. Zugleich gründete man schon mal eine Kurgesellschaft und ernannte einen Kurdirektor, obwohl Belzig noch nicht offiziell als Kurort gilt.

Aus 773 Meter sprudelt das heilende Nass im neuen Kurpark nach oben. „Schon die Aussicht auf viele Kurgäste veränderte die Stadt“, erinnert sich Kurdirektor Jens Hackbarth. „1990 zählten wir 17 Hotelbetten, heute sind es 580. 250 stehen in der erweiterten Reha-Klinik.“

Langsamer als die Herbergen stellten sich die Einwohner auf die Fremden ein. Aber schon jetzt hat sich Bürgermeister Kiep ein neues Ziel gesetzt: In weniger als vier Jahren soll Belzig offiziell den Titel „Bad“ tragen. Der Verkehr soll das nicht verhindern, noch 2005 wird die Umgehungsstraße fertig sein. Damit erfüllt sich eine weitere Vision des einstigen Karnevalschefs.

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