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Kurden

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Kurden und Türken: Hass auf beiden Seiten

Nach dem Gewaltausbruch in Kreuzberg und Neukölln befürchten Sicherheitsexperten weitere Krawalle.

Von Frank Jansen

Sie wurden überrascht. Keiner der Sicherheitsexperten, die der Tagesspiegel gestern befragte, hätte vor dem vergangenen Wochenende die Szenen der Gewalt zwischen nationalistischen jungen Türken und gleichaltrigen Anhängern der kurdischen Extremistenorganisation PKK erwartet. „Bei den rechten Türken war es jahrelang ruhig“, sagt ein hochrangiger Fachmann, der ungenannt bleiben möchte. Ein anderer Experte, der ebenfalls seinen Namen nicht in der Presse lesen will, beklagt, weder Verfassungsschutz noch Landeskriminalamt hätten die Szene der rechtsextremen Türken mit der nötigen Intensität ausgeleuchtet.

Gleichzeitig wird befürchtet, dass die Krawalle von Sonntagabend nur der Auftakt zu einer Serie von Ausschreitungen waren, sollte die türkische Armee in den Nordirak einmarschieren und die Lager der PKK-Kämpfer angreifen. „Das kann sich gerade in Berlin zu einem gefährlichen Selbstläufer entwickeln“, warnt ein Sicherheitsexperte, „denn das Potenzial ist auf beiden Seiten da.“ Und: Die Randale passe zu der schon länger beobachteten Tendenz, „dass sich junge Türken, Kurden und Araber auf der Straße zusammenrotten, wenn die Polizei eine normale Festnahme macht“. Es gebe einen „polizeilichen Autoritätsverlust“, der es fraglich erscheinen lasse, „ob die Politik der ausgestreckten Hand immer richtig ist“.

Auch die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, warnte gestern im rbb-Inforadio vor weiteren „emotionalen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken“. An den Ausschreitungen hätten sich nationalistische türkische Gruppen beteiligt, die den ultrarechten „Grauen Wölfen“ nahestehen. Schmid vermutet aber auch, dass „eine ganze Menge gewaltbereiter Jugendlicher, die bei der Randale am 1. Mai dabei waren, eine Rolle gespielt haben“. Nach Informationen des Tagesspiegels ist aber keiner der am Sonntag festgenommenen Türken und Kurden bei Mai-Krawallen der Polizei aufgefallen.

Die Sicherheitsbehörden wissen viel über die PKK, aber offenbar wenig über die Szene der rechtsextremen Türken. In den Jahresberichten des Berliner Verfassungsschutzes werden „extreme Nationalisten (türkisch)“ seit Jahren nur in einer Zahlenstatistik genannt. Danach halbierte sich das Personenpotenzial im Jahr 2005 in Berlin auf 300, dabei blieb es. Die wichtigste Organisation der türkischen Nationalisten, die oft als „Graue Wölfe“ bezeichnete „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF)“, wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz auf 7500 Anhänger taxiert. Das Bundesamt verzichtet in seinem letzten Jahresbericht ebenfalls auf eine Beschreibung der Aktivitäten der ADÜTDF. Sie gilt offenbar nach einer gewalttätigen Zeit in den 80er und 90er Jahren als bieder-verbalradikale Vereinigung. Im Unterschied zur straff organisierten, mafiosen PKK, der in Berlin 1050 Anhänger und bundesweit 11 500 zugerechnet werden. Seit 1993 unterliegt die PKK in Deutschland einem „Betätigungsverbot“, an das sie sich nicht hält. 1999 griffen PKK-Anhänger in Berlin das israelische Generalkonsulat an, Wachleute erschossen drei Kurden.

Im Milieu der ADÜTDF sind allerdings widersprüchliche Tendenzen zur erkennen. Die Vereinigung findet trotz ihrer ultrarechten und extrem kurdenfeindlichen Propaganda Anschluss in der bürgerlichen Mitte der türkischen Gemeinschaft. Die Berliner Journalistin Claudia Dantschke, die seit Jahren das Spektrum türkischer Extremisten beobachtet, nennt ein Beispiel: Die ADÜTDF warb im April in Berlin unter der Kurzbezeichnung „Türk Federasyon“ auf Plakaten für eine Feier zum Gedenken an den 1997 verstorbenen „Führer“ Alparslan Türkes. Er war Chef der rechtsextremen türkischen „Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP)“, der Mutterorganisation der ADÜTDF. Als Ort des Gedenkens wurde die Moschee am Columbiadamm in Neukölln angegeben – Betreiber ist die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib)“, die unter der Aufsicht des türkischen Staates steht. Dazu passt, dass in der Türkei die MHP von 1998 bis 2002 an der Regierung beteiligt war.

In Kontrast zum staatsbürgerlichen Gehabe scheint sich im Milieu der ADÜTDF eine Jugendszene zu bilden, die für die älteren Mitglieder nur schwer zu kontrollieren ist. Die jungrechten Türken haben ihre eigenen Helden – zum Beispiel den Rapper Osun Baba, der in einem Video auch auf Deutsch über Volk, Stolz und Ehre singt. Auf einem Bild erscheint ein grauer Wolf, der mit blutbefleckten Pfoten über eine kurdische Fahne läuft.

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