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Amokfahrt. Mit 70 Stundenkilometern raste Wolfgang S. im November 2009 in den Blumenladen seiner Ex-Frau. Die damals schwer verletzte Verkäuferin klagt nun vor dem Sozialgericht – um zu erreichen, dass der Anschlag als Arbeitsunfall anerkannt wird.

© Andreas Meyer

Neukölln: Rätselraten um das Motiv einer Amokfahrt

Der Ex-Mann einer Blumenhändlerin raste mit einem Transporter in den Blumenladen. Der Anwalt des Mannes sagt, dieser habe nicht seine Ex-Frau töten wollen, sondern sich selbst.

Evangelin S. wirkt wie eine lebenslustige Frau. Sie kann sich gut ausdrücken, lächelt häufig. Man sieht ihr nicht gleich an, dass sie vor zirka eineinhalb Jahren einen brutalen Anschlag überlebt hat. Mit 70 Kilometern pro Stunde raste ihr Ex-Mann in ihren Blumenstand, sie erlitt Knochenbrüche und innere Verletzungen. Mehr als ein Jahr war sie arbeitsunfähig, noch heute sei sie in ärztlicher Behandlung, sagte die 46-Jährige am Montag im Sozialgericht. „Ich habe Schmerzen beim Stehen und kann den Arm nicht richtig heben.“ Evangelin S. hat gegen ihre Berufsgenossenschaft geklagt: Weil es ihr Arbeitsplatz war, in den ihr Ex-Mann raste, will sie die Tat als Arbeitsunfall anerkennen lassen und Anspruch auf eine Verletztenrente geltend machen.

Die Sitzung begann ungewöhnlich – und anders als geplant. Eigentlich sollte nach eineinhalb Stunden das Urteil gesprochen werden. Doch daraus wurde nichts. Weil einer der beiden ehrenamtlichen Richter nicht erschienen und auch telefonisch nicht zu erreichen war, erklärte der Vorsitzende Richter Thomas Drappatz die Verhandlung zum Erörterungstermin – nur die Beweisaufnahme konnte stattfinden. Das Urteil wird voraussichtlich am 7. März gesprochen.

„Ich kann nicht glauben, dass er mich umbringen wollte“, sagte Evangelin S. Wolfgang S. sei nicht in Tötungsabsicht in den Blumenstand gerast, argumentierte ihr Rechtsanwalt Hans-Peter Albrecht. Vielmehr habe er sich selbst töten wollen, nachdem er zuvor in einer Gartenlaube seine aktuelle Ehefrau gefoltert und schwer verletzt habe. Nach Darstellung des Anwalts sei der Blumenstand in Buckow eher zufällig für den beabsichtigten Suizid gewählt worden; sowohl die Laube als auch die Wohnung hätten in der Nähe gelegen. Zudem habe Wolfgang S. gar nicht sehen können, ob seine Ex-Frau im Laden stand. Deshalb sei das Ereignis als Unfall zu bewerten und nicht als Anschlag. Wolfgang S. hatte sich nach wenigen Tagen Haft im Untersuchungsgefängnis Moabit das Leben genommen.

Roland K., seit 2002 der Lebensgefährte von Evangelin S., sagte, seine Lebensgefährtin habe keinerlei Kontakt mehr zu ihrem Ex-Mann gehabt. Drappatz las eine Aussage vor, die K. im November 2009 bei der Polizei gemacht hatte: Vielleicht habe Wolfgang S. seine Frau töten wollen, weil er neidisch auf ihren Blumenstand gewesen sei, hatte K. gesagt. Er könne sich an diese Aussage nicht erinnern, sagte K., er glaube aber nicht, dass er das gesagt habe. Seine Partnerin sei nicht von ihrem Ex-Mann bedroht worden. Dagegen blieb Andreas Schäffler von der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution bei der Einschätzung, dass es sich um einen Mordversuch gehandelt habe. „Wir gehen weiterhin von einem rein persönlichen Motiv aus.“

Vor zwei Wochen hat Evangelin S. ihren Blumenstand wieder eröffnet, an derselben Stelle wie zuvor. Ein Spender habe ihr einen Container zur Verfügung gestellt, vermittelt durch den Beitrag eines Privatsenders, sagte Rechtsanwalt Albrecht. In dem TV-Beitrag, der wenige Tage nach der Tat im November 2009 gesendet worden war, nannte Roland K. den Ex-Mann seiner Partnerin einen brutalen Psychopathen, der seine Frau häufig geschlagen habe. „Erst dachte ich ja, es war ein Autounfall“, sagte Roland K. in der Sendung. Aber als der Name Wolfgang S. gefallen sei, sei ihm schlagartig klar geworden: „Das war ein Mordanschlag.“

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