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Ein schwuler Geflüchteter über seine Heimaten: Schluss mit dem Doppelleben

Es drohen Gefängnis und Tod: Homosexuelle fühlen sich in ihren arabischen Heimatländern ausgestoßen. Aber als Flüchtling aus Syrien wird unser Autor auch in Berlin in Schubladen gesteckt.

Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau: Diesen Satz habe ich oft gehört. Ich habe ihn schon immer ungerecht gefunden, ungerecht für mich und alle homosexuellen Menschen, denn nach der Logik, die in diesem Spruch zum Ausdruck kommt, werde ich niemals ein erfolgreicher Mann sein. Eine starke Frau, die hinter mir steht, werde ich niemals haben! In diese Logik passe ich einfach nicht hinein, das ist nicht meine Heimat.

Ich habe Heimat im politischen System von Assads Syrien gesucht und habe gefunden, dass das Regime meine Rechte vergewaltigt, mich dem Gefängnis oder der Nötigung durch die Moralpolizei unterwirft. Ich habe Heimat in der Religion gesucht und ich fand, dass der Islam Homosexualität verbietet und bestraft. Es gab keine dritte Möglichkeit, wo ich Heimat hätte finden können – ich war heimatlos.

Der Begriff Heimat bedeutet für jeden etwas anderes, je nachdem zu welcher Generation er oder sie gehört, welcher sozialen Schicht er entstammt, welchen Bildungsgrad er hat. Für meinen 75-jährigen Vater ist Heimat mit dem Boden verbunden, auf dem er geboren wurde, deswegen weigert er sich bis heute, Syrien zu verlassen.

Jeder soll heiraten und ein Haus nebenan bauen

Meine Eltern mussten wegen der blutigen militärischen Zusammenstöße, die Mitte 2012 in der Nähe unseres Hauses in einem Vorort von Damaskus begannen, in ihr Heimatdorf in den al-Zawia Bergen bei Idlib in Nordsyrien ziehen. Hier fühlen sie sich zu Hause: Auf dem Land, das mein Vater von seinem Vater geerbt hatte, baute er ein neues Haus, pflanzte Bäume und betrachtete es als sein goldenes kleines Königreich, seine kleine Heimat.

Für meinen Vater ist Heimat deswegen so eng mit Landeigentum verbunden, weil das Land in seiner Kindheit die einzige Lebensgrundlage war, das Land war der Faktor, der Stabilität im Leben garantierte. Deswegen muss es von Generation zu Generation weitergegeben werden, jeder soll heiraten und ein Haus nebenan bauen, um die Arbeit zu teilen und das Land der Familie möglichst noch zu vergrößern.

Ich bin in Damaskus geboren, weit weg vom Geburtsort meines Vaters, und der Begriff Heimat ist für mich nicht mit der Idee des Landeigentums verknüpft. Vor allem auch deshalb nicht, weil ich wusste, dass ich die Wünsche meiner Eltern nie erfüllen würde: Ich würde nicht heiraten, würde nicht den Namen der Familie bewahren und die mir zugedachte Rolle erfüllen, das Land zu bewahren.

Ich hatte Angst zuzugeben, dass Mädchen mich nicht interessieren

In der höheren Schule waren meine Teenager-Freunde damit beschäftigt, sich zu verlieben und ihre Körper zu entdecken. Jeder hatte eine Freundin oder sogar mehrere, und sie hörten Lieder, in denen die Frau als das Zuhause, die Heimat besungen wurde. Auch diese Heimat war für mich nicht zugänglich; ich konnte mich all die Jahre nicht in ein Mädchen verlieben. Während meine Freunde mit ihren sexuellen Beziehungen prahlten, saß ich in der ersten Reihe wie jeder fleißige Schüler und hatte Angst zuzugeben, dass Mädchen mich nicht interessierten.

In den Universitätsjahren wurde die Situation noch komplizierter. Ich war eben sehr anders als meine Kommilitonen. Homosexualität wird in Syrien als Schande für die Familie und für jeden Menschen gesehen, und das wird auch so bleiben, solange die Gesellschaft noch nach den alten Männlichkeits-Stereotypen lebt, die durch populäre Geschichten und die Religion verstärkt werden. Ich spürte, dass das Land, in dem ich lebte, mich ausstieß.

Aus der Sicht der in Syrien herrschenden Baath-Partei wiederum ist Heimat ein Monopol einer begrenzten Gruppe von Menschen, die über die anderen herrschen. Sie haben alles, was die materielle Grundlage von Heimatgefühlen ausmacht, von Stipendien über Jobs in der Verwaltung, Karrieren, Geld, Einfluss, Stabilität. Auch diese „Heimat“ war für mich nicht zugänglich.

Als die syrische Revolution began, war ich begeistert und dachte, dass sich nun alles ändern würde. Ich hoffte, die Dynamik des arabischen Frühlings würde dazu führen, dass auch ich eine Heimat finden könnte, die mich akzeptiert – es war meine einzige Chance. Aber im Laufe der Jahre sah ich, wie sich die Revolution ihrer kulturellen und liberalen Symbole entledigte und statt dessen immer stärker von religiösen Fanatikern dominiert wurde, die meine Rechte als Homosexueller von vornherein negieren und sogar meinen Tod gutheißen. Das Regime bedrohte mich mit Gefängnis, aber die Religiösen erlaubten sogar, dass Homosexuelle wie ich von Hochhäusern gestürzt wurden. Das geschah in den Gegenden, in denen der „Islamische Staat“ die Kontrolle erlangt hatte und auf diese Weise angeblich den Willen Gottes erfüllte.

Ich möchte an einem Ort leben, wo ich nicht ausgegrenzt werde

Ich habe Syrien im Jahr 2014 verlassen, nachdem mir klar wurde, dass ich dort keine Heimat finden würde. Meine Vorstellung von Heimat hatte sich damals schon reduziert auf einige wenige Wünsche: Ich möchte nur an einem Ort leben, an dem ich akzeptiert werde, wie ich bin, wo ich nicht ausgegrenzt werde und ein Doppelleben führen muss. Einfach ein Ort, wo ich nicht immer lügen muss!

Minderheiten in vielen Teilen der Welt leiden seit langem darunter, dass sie sich nicht zu Hause fühlen können – ob sie nun ethnische, nationale oder religiöse Minderheiten sind oder Minderheit aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Am schlimmsten ist das in Diktaturen, vor allem wenn sie eng mit der religiösen Macht verbunden sind. Die Unterdrückung der Homosexuellen durch das Regime wird in Syrien durch die Religion legitimiert. Denn die herrschenden Alawiten sind selbst eine Minderheit im mehrheitlich sunnitischen Syrien, und die Basis ihrer Macht besteht darin, dass sie sich als die Verteidiger eines konservativen Islam darstellen. Sie haben sich mit den Religiösen verbündet und gründen ihre Herrschaft auf drei Fundamenten: Geld, Religion und Macht.

Die Schubladen in Berlin: Orientale, Muslim, dunkelhäutig

Ich lebe seit drei Jahren in Berlin. Es ist eine intellektuell anregende Stadt, ich fühle mich nicht wie ein Fremder. Ich bin der Stadt sehr nahe gekommen und habe mich mit ihren Geheimnissen vertraut gemacht. Auch mit ihrer Geschichte und ihren Leiden habe ich mich beschäftigt, die letztlich zu der heutigen Toleranz in Fragen der sexuellen Orientierung geführt haben.

Aber ich bin immer noch ein Flüchtling aus Syrien und werde immer noch in Schubladen gesteckt, nur in andere: als Orientale, Muslim, als dunkelhäutiger Mann. Und 14 Prozent der Deutschen, die die „Alternative für Deutschland“ gewählt haben, akzeptieren meine Gegenwart in diesem Land nicht.

Ich suche immer noch nach einer Heimat, der ich mich zugehörig fühlen kann, körperlich und geistig. Eine Heimat, in der ich sagen kann: Hinter einem erfolgreichen Mann muss nicht immer eine Frau stehen, sondern es kann auch ein Mann sein.

Aus dem Englischen von Dorothee Nolte. Der Autor (30) kam 2015 nach Deutschland. Er ist freier Journalist. Zu diesem Artikel hat ihn sein Ex-Freund inspiriert.

Dieser Text entstand im Rahmen des Exiljournalisten-Projekts des Tagesspiegels #jetztschreibenwir. Am 16. Juni erschien eine Beilage der Exiljournalisten zum Thema „Heimaten“ (in Print und im E-Paper), weitere Texte von Exiljournalisten finden Sie hier.

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