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Lehrerinnen dürfen nun in staatlichen Schulen auch Kopftuch tragen.

© epd

Reaktionen von Pädagogen auf Kopftuch-Urteil: „Wir haben Schüler aus Gegenden, in denen Ungläubige bekämpft werden“

Die Interessengemeinschaft der Berliner Schulleitungen übt heftige Kritik am Urteil des Bundesarbeitsgerichts.

Karina Jehniche empfindet den Richterspruch als „fatal“. Die Leiterin der Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau, eine Lehranstalt mit sehr hohem Migrationsanteil, hätte „nicht erwartet, dass das Bundesarbeitsgericht das Neutralitätsgebot an Berliner Schulen kippt“. Lehrerinnen dürfen jetzt, haben die Richter entschieden, auch mit Kopftuch unterrichten, sofern der Schulfrieden dadurch nicht gestört werde. 

„Ich hätte nicht erwartet, dass man Neutralität als Diskriminierung betrachten kann“, sagt Karina Jehnichen. Und sie redet nicht bloß als Leiterin ihrer Schule, wenn sie das Urteil als „fatal“ bezeichnet, sie ist auch stellvertretende Leiterin der Interessensgemeinschaft Berliner Schulleitungen (IGB). Sie spricht deshalb auch für rund 300 führende Pädagogen.

Für Karina Jehniche geht es um das Symbol Kopftuch. Für sie ist ihr Problem mit dem Urteil in der eigenen Schule am besten erkennbar: „Wir haben Schülerinnen und Schüler die aus Krisengebieten kommen, in denen der Islam Staatsreligion ist und wo gegen Ungläubige gekämpft wurde.“ Wenn ein solches Kind eine Frau mit Kopftuch sehe, könne es davon beeindruckt werden und die Toleranz gegenüber anderen Religionen abnehmen, so Jehniche. Gerade für Kinder stelle eine Lehrerin eine große Vertrauensperson dar. „Wir müssen daran arbeiten, dass alle Religionen toleriert werden. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft, gerade deshalb muss eine Schule Neutralität ausstrahlen.“

An der Morgenstern-Schule „werden Schüler und Schülerinnen aus 49 Nationen unterrichtet“, sagt Karina Jehniche, „hier sind alle Weltreligionen vertreten“. Es sei vollkommen klar, dass man da von einem Lehrer „Neutralität als Haltung“ erwarten könne. Wenn man Kopftuch tragen dürfe, müssten nun auch andere Religionen sichtbar werden. Das aber will sie nicht.

Sie hat ohnehin schon registriert, dass sich muslimische Väter bei Elternabenden oder Sitzungen der Elternvertreter daran störten, dass die Schulleiterin nicht islamisch - soll heißen: mit langem Rock - bekleidet ist. Karina Jehniche hat auch erlebt, dass muslimische Schüler Druck auf muslimische Schülerinnen ausübten, Kopftuch zu tragen. 

Probleme mit den sehr konservativen Eltern

Auch Tilmann Kötterheinrich-Wedekind betrachtet, zumindest für seine Schule, den Urteilsspruch als Problem. „Wir als Schule haben beim Schulfrieden sehr vom Neutralitätsgesetz profitiert“, sagt der Leiter des Ernst-Abbe-Gymnasiums in Neukölln, Migrationsanteil: 94 bis 97 Prozent. „Eine Lehrerin mit Kopftuch wäre hier fatal“, sagt er, „weil bei uns immer wieder wegen des gegenseitigen kulturellen Verständnisses und beim Umgang mit jungen Mädchen Spannungen aufkommen.“ An der Schule seien viele Schülerinnen und Schüler aus türkischen, arabischen und bosnisch-muslimischen Familien.

Sprich: Wer sich als muslimisches Mädchen westlich kleidet, bekomme von Schülern Probleme. Viele seiner „sehr streng konservativen, muslimischen Eltern betrachteten eine Lehrerin mit Kopftuch als positives Vorbild“, sagt Kötterheinrich-Wedekind. Im Umkehrschluss würden westlich gekleidete Pädagoginnen abgewertet.

Kötterheinrich-Wedekind hatte schon Diskussionen und Konflikte bei den Themen Beten, Sportbekleidung oder der Frage: Wie weit darf die Religion Einfluss nehmen auf die Schule? Das alles sind für ihn Themen, die nicht an seine Lehranstalt gehören, die von der eigentlichen Aufgabe der Schule ablenkten.  

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Kötterheinrich-Wedekind betont, dass er nur für seine Schule spreche. Wenn eine Lehrerin mit Kopftuch in Dahlem, bei einer völlig anders strukturierten Schülerschaft, unterrichte, sei die Situation völlig anders. Da gebe es solche Probleme und Fragen wohl nicht.

Eine Schulleiterin in Neukölln ist "entsetzt"

In einer anderen Schule in Neukölln ist die Schulleiterin über das Urteil „entsetzt“. Die Schule, sagt sie, „ist auch dazu da, dass sich die Schüler und Schülerinnen eine eigene Meinung bilden". Vor allem predige man Toleranz gegenüber allen Religionen. Das sei aber nicht mehr klar erkennbar, wenn jemand nicht mehr deutlich neutral auftrete. "Es gibt ja auch nonverbale Botschaften." 

Auch sie hat erlebt, dass muslimische Schüler Druck auf muslimische Schülerinnen ausübten, das Kopftuch zu tragen. Pädagogen griffen dann sofort ein und führten Gespräche mit den Schülern und deren Eltern. „Aber das ist ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess.“

Sie kennt den Fall eines Neunjährigen, der einer westlich gekleideten palästinensischen Erzieherin erklärte: „Von ihnen lass’ ich mir gar nichts sagen, sie tragen kein Kopftuch, sie sind keine echte Muslima.“ In so einem Fall sei der Schulfrieden erheblich gestört. Da die Eltern des Jungen überhaupt keine Einsicht gezeigt hatten, musste der Junge die Schule verlassen. Die Schulaufsicht hatte in ihrer Begründung geschrieben: „Störung des Schulfriedens.“

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