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Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim: „In Marzahn läuft die Zeit langsamer“
Vorurteile über Marzahn gibt es viele. Statt Plattenbau-Klischees erzählt Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim in der ARD-Serie „Marzahn Mon Amour“ den Alltag der Bewohner ohne Klamauk, aber mit viel Wärme.
Stand:
Frau von Arnim, wie haben Sie Marzahn als Regisseurin erlebt?
Marzahn kannte ich vorher vor allem, weil es dort eine große vietnamesische Community gibt und mein Vater vietnamesisch ist. In der Vorbereitung auf die Dreharbeiten zu „Marzahn Mon Amour“ habe ich mich dann wieder dorthin begeben, aber nicht zu Sehenswürdigkeiten – ich habe mich einfach auf eine Parkbank gesetzt und das Geschehen beobachtet. Die Zeit läuft langsamer, allein durch die vielen älteren Menschen, die dort leben. Es leben aber auch viele Familien dort, es ist sehr multikulturell. Einfach nur da zu sitzen und abzuwarten, war die allerbeste Vorbereitung. Auch um zu verstehen, was für Katja Oskamp den Reiz des Stadtteils ausmacht.
Auf Katja Oskamps autofiktionalem, gleichnamigen Buch basiert die Serie. Hauptfigur Kathi ist eigentlich Schriftstellerin, aber ihre Karriere stagniert. So beginnt sie eine Ausbildung zur Fußpflegerin in einem Marzahner Beautysalon. Was hat Sie an dem Stoff gereizt?
Das Projekt war schon gute vier Jahre in der Entwicklung, bevor ich als Regisseurin dazukam. Es war für mich besonders, weil mein Großvater, der kurz zuvor gestorben war, mir das Buch geschenkt hatte. Was mich an dem Roman fasziniert hat, war seine Tonalität, die ich als bittersüß beschreiben würde. Es sind teils harte und traurige Geschichten, und trotzdem ist es kein bitteres Buch, kein Sozialdrama, sondern eine würdevolle und emphatische Erzählung. Es gibt auch keinen stringenten Handlungsstrang. Den haben wir in der Serie mehr eingeführt. Aber man ist sehr nah dran an den Figuren, die sonst nicht erzählt werden. Das filmisch zu inszenieren war eine Herausforderung, auf die ich sehr große Lust hatte.
Eine Frau mittleren Alters als Hauptfigur ist selten in der Serienlandschaft – und erst recht die vielen Rentner-Rollen. Das rückt andere Fragen in den Vordergrund: das Loslassen als Mutter, wenn das eigene Kind sich abnabelt – aber auch Pflege, der Verlust des Partners, die Suche nach dem Platz in der Gesellschaft, wenn man nicht mehr berufstätig ist.
Dabei sind es sehr erzählenswerte Geschichten von Schmerz, aber auch Anmut. Man kann sie natürlich komödiantisch und auf Klamauk inszenieren. Die Wahrhaftigkeit fand ich aber viel interessanter: nichts beschönigen, kein Drama größer machen, als es ist, es einfach für sich sprechen lassen.
Wie verändert sich ein Dreh, wenn man mit so vielen älteren Menschen zusammen arbeitet?
Ich war von anderen Drehs daran gewöhnt, dass mir mit meinen 30 Jahren seitens der Schauspielerinnen und Schauspieler manchmal zu Beginn ein gewisses Misstrauen entgegenschlägt. Dass ich mich erstmal behaupten muss. Das Witzige hier war: Darstellerinnen und Darsteller, von denen nicht wenige über 80 sind, sind eh an einen großen Altersunterschied gewöhnt. Das war also gar kein Thema. Außerdem fand ich die Behutsamkeit toll, die damit am Set einherging. Aus Rücksicht gegenüber den Älteren fand ich besonders eine ruhige und achtsame Atmosphäre wichtig und auch angenehm, und ich habe sie vom Team eingefordert.
Den Dreh hat am Ende aber weniger das Alter bestimmt als die Tatsache, dass alle wahnsinnig viel Erfahrung mitbringen. So konnte ich mit ihnen ganz anders an Szenen herangehen, konnte viel von ihnen lernen. Ich hatte gleichzeitig nie das Gefühl, belehrt zu werden. Ich glaube, wir fanden es alle sehr erfrischend. Sie haben mir zurückgemeldet, dass sie es schön fanden, so viel Zeit gelassen zu bekommen durch den Respekt, den ich vor diesem Alter habe.
Aber wenn man sich viel Zeit lässt, braucht man doch auch mehr Drehtage und die Kosten steigen, oder?
Mit der Drehzeit hat das nicht viel zu tun, sondern mit der Inszenierung. Nicht auf ein Tempo zu trimmen. Die Szenen sollten realistisch sein und die Kunden des Salons ihre Würde behalten. Und so mussten die Schauspieler auch auf keine Pointe hin spielen. Ihr Spiel als solches ist die eigentliche Pointe.
Kürzlich wurden die ersten Folgen im Freizeitforum Marzahn vorgeführt, einem Ort, der in der Serie selbst vorkommt. Danach sagte eine Bezirkssprecherin, sie sei an „konstantes Bashing“ ihres Stadtteils gewöhnt, wohlwollend werde er selten dargestellt. Was war Ihnen wichtig in der Inszenierung des Ortes und seiner Bewohner?
Wie auch im Buch ging es mir um einen nüchternen und zugleich liebevollen Blick, ein liebevolles Beobachten.
Wie viel Ost-Mentalität steckt in dieser Erzählweise?
Meine Mutter kommt aus Berlin, aber ich bin in München geboren und mein Vater kommt aus Vietnam. Ich selbst bringe diese Mentalität also weniger mit. Aber viele der Darstellerinnen und Darsteller haben sie mitgebracht.
Im Projekt sind einige Menschen mit ostdeutschen Biografien vertreten. War das Absicht?
Mir war wichtig, dass – wenn ich schon mit einer Außenperspektive an diesen Stoff herantrete – andere eine Innenperspektive mitbringen. Unser Kameramann, Falko Lachmund, kommt aus Hellersdorf. Bei Schauspielern war das auch von Anfang an klar. Es gibt meiner Meinung nach nichts Schlimmeres als schlecht imitierte Dialekte. Beim Berlinerischen denken viele, sie könnten es, aber man merkt sofort, wenn's nicht echt ist. Oder ich merke es, weil meine Mutter Berlinerin ist. Aber nicht nur, dass sie diesen Sprech drauf haben, war mir wichtig, sondern dass sie die Figuren verstehen und die Geschichte des Ortes. Wir wollten nicht in eine Behauptung hineinrutschen.
Immer wieder hört man den Vorwurf, das mediale Image des Ostens sei zu sehr geprägt durch einen westlichen, von Vorurteilen behafteten Blick. Hermann Beyer erzählte, dass auch er beim ersten Lesen des Drehbuchs skeptisch war; nun spielt er einen ehemaligen Stasi-Nachbarn Kathis. Er ließ sich auf das Projekt ein, weil Sie bereit waren, in den offenen Dialog mit ihm zu gehen und Stellen umzuschreiben.
Ja. In „Ostalgie“-Filmen wird oft romantisiert oder falsch dargestellt. Meinem Eindruck nach konnte ich ihm sein Misstrauen nehmen, indem ich ihn und die anderen einfach ernst genommen habe. Warum auch nicht? Sie haben einen anderen Erfahrungsschatz als ich, eine Expertise, von der die Serie nur profitieren konnte. So sollten Filme in ihrer Entstehung eigentlich immer funktionieren, als ein Gemeinschaftsprozess, in den jede und jeder sein Wissen hineingibt. Regie bedeutet für mich nicht, dass ich die Chefin bin und alle meinen Ideen einfach folgen.
Medial ist das Image des Ostens zurzeit nicht das beste, vor allem angesichts hoher Zustimmungswerte zur AfD bei den jüngsten Wahlen. Wollten Sie dem etwas entgegensetzen?
Mit der Serie haben wir keine Agenda verfolgt, um etwas zu verharmlosen. Wir wollten einfach Einzelschicksale erzählen und zeigen, wie es ist.
Was würden sie sich wünschen, was eine Serie wie „Marzahn Mon Amour“ bewirkt?
Ich hoffe, dass Menschen sich zum einen erkennen und zum anderen gesehen fühlen. Und dass die Serie Verständnis schafft und Interesse weckt an denjenigen, die sich sonst wenig vertreten fühlen in der Öffentlichkeit. (KNA)
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