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Berliner Liedermacher. Reinhard Mey, 74, könnte man häufig treffen. Aber er tritt so unauffällig auf, dass man ihn übersieht.

© picture alliance / Swen Pförtner

Tournee-Stop in Berlin: Reinhard Mey singt Herbstlieder für Fan-Familie

Alle drei Jahre zieht Reinhard Mey still und leise los. Seine Fans wissen ohnehin Bescheid – ausverkauft ist alles schnell, auch heute und morgen im Tempodrom. Eine Würdigung.

Eines der schönsten und wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse der Stadt findet ganz im Stillen, aber umso intensiver, alle drei Jahre im Konzertsaal statt. Wenn Reinhard Mey auf die Bühne tritt, bedarf es keiner Vorankündigung, denn die Fans lauern schon lange vorher auf den Beginn des Kartenvorverkaufs. Blitzschnell ist das Vergnügen in der Regel ausverkauft. Schade für die Zuspätgekommenen, aber für manche von ihnen Grund genug für einen Ausflug in eine der Städte, wo es noch etwas länger Restkarten für die Randplätze gibt, als in der Heimatstadt des Liedermachers.

Viele von Reinhard Meys Liedern sind längst Klassiker, fest verankert im kollektiven Unterbewusstsein. Wenn er wollte, könnte er auf den Roten Teppichen Berlins jeden Abend Top-VIP sein.

Will er aber nicht. Viel zu gefährlich.

VIP-Auftritte würden seine superfeinen Antennen verstopfen

Vielleicht würde das seine superfeinen Antennen verstopfen für die sehr bedeutsamen kleinen Erlebnisse, aus denen seine Lieder gestrickt sind.

Er joggt lieber durch den Wald im Norden, macht in Familie oder rettet auch mal mit viel Humor und Selbstironie einen dementen Greis vor dem Kältetod. Vielleicht könnte man ihn mal sehen beim Italiener oder bei einem Konzert, aber er tritt so unauffällig auf, dass man kaum auf ihn aufmerksam wird.

"Mr. Lee" heißt sein neue Album diesmal

Außer alle drei Jahre. Da versammelt er seine Zuhörer um sich, um ein bisschen was Neues aus seinem Leben zu erzählen und die Lieder eines neuen Albums zu singen. „Mr. Lee“ heißt es diesmal.

Nach dem guten biblischen Motto, dass die Letzten die Ersten sein werden, haben einige Berliner Fans das Konzert schon vor zwei Wochen in Hamburg gehört und wissen, worauf sich die Berliner am Montag und Dienstag im Tempodrom freuen können.

Oder auch nicht. Ob er das „Heimweh nach Berlin“ auch an der Spree aufführen wird? An der Elbe war es ein großer Erfolg, mit lachendem Zwischenbeifall belohnt, vermutlich vor allem wegen der im Programmheft nicht vorkommenden hinzugedichteten Extrastrophe, in der ein exklusiv fliegender Pleitegeier eine Rolle spielt und Berlin genauso ist, wie man es sich draußen im Lande so vorstellt.

Das Lied vom Berliner Pleitegeier klingt noch im Kopf

Aus Hamburg zurückgekehrt, klingt das Lied bei der glücklichen Landung mit dem ICE im Hauptbahnhof im Kopf sofort wieder auf. Da merkt man erst, wie wahr es ist. Was für ein Privileg, in einer Stadt zu leben, in der man jederzeit mal kurz bei Serafina vorbeischauen kann oder im Gallo d’ Oro von dem im Glase funkelnden Wein trinken.

In Hamburg lauschten 5500 Fans gebannt dem Barden

Allerdings muss man sagen, dass Reinhard Mey auch in Hamburg ein unglaublich nett wirkendes Publikum hat. Viele sehen so aus, als hätten sie den Gedichtband, den er am meisten liebt, selber im Regal stehen – und sei’s als schöne Erinnerung an die Eltern. Die Zuschauer an der Elbe sahen so gar nicht aus, wie man sich hier die typischen Pfeffersäcke vorstellt. Obwohl da stattliche 5500 Fans saßen, die alle gebannt dem einen Mann mit seiner Gitarre lauschten, wirkte die Atmosphäre doch irgendwie sehr intim.

Wohl jeder dort verstand den Subtext eines Zitates der schwedischen Schriftstellerin Ellen Key: „Das Leben hält in der einen Hand den goldenen Königsreif des Glücks, in der anderen die Dornenkrone des Leids. Seinen Lieblingen reicht es beide.“

Der 74-Jährige springt noch locker auf die Bühne

„Es riecht nach Tournee“, das ist im Hause Mey geflügeltes Wort, ein Synonym für den Herbst, der alle drei Jahre bedeutet, dass sich ein großer Truck auf den Weg macht zu den Konzertsälen, in denen der Barde von seiner Gemeinde schon sehnsüchtig erwartet wird. Zumindest die 5500 Hamburger aller Generationen erhoben sich spontan zur Standing Ovation, manche staunten und flüsterten über die sportliche Form des immerhin schon 74-Jährigen, die federnden Schritte, mit denen er auf die Bühne sprang. Mehr als Worte oder Lieder sagte das Glück in seinem Gesicht, als er beim Abschiedsapplaus den Blick noch einmal über seine große Familie auf den Rängen schweifen ließ.

Das Glück des Spielmanns, der es nicht lassen kann und nicht lassen muss. Dessen Ruhm über ihn schon fast hinausgewachsen ist in eine Ära, in der die Freiheit wohl grenzenlos ist.

Reinhard Mey spielt am heutigen Montag und morgigen Dienstag jeweils ab 20 Uhr, im Tempodrom, Möckernstraße 10 in Kreuzberg. Beide Konzerte sind ausverkauft.

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