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Berlin: Robert Rober (Geb. 1926)

Er kannte sie alle: die Bundes-Sirene, die Irre von Chaillot, den Sterndeuter.

Ihre letzten Tage verbrachte Adele Sandrock zu Hause in Berlin, wo sie von ihrer Schwester Wilhelmine betreut wurde. Als die das nahende Ende Adeles spürte, rief sie Hubert von Meyerinck an und bat ihn, rasch herüberzukommen. Meyerinck rannte in die Wohnung der alten Damen. Flüsternd sprach Wilhelmine mit ihm über den Zustand der Schwester. Da erwachte Adele noch einmal und rief: „Schnattert nicht, hier wird gestorben.“

In Wien wurde ein bekannter Schauspieler zu Grabe getragen. Eine Soubrette sollte ein Gedicht sprechen, blieb jedoch während ihres Vortrags hängen, brach ab und sagte ärgerlich: „A leckt’s mi am Arsch, ich sing a Couplet.“

Hunderte dieser Geschichten kennt Robert Rober, gehört von älteren Kollegen in den Theatergarderoben und Theaterkantinen, selbst erlebt auch, in Wien, Hamburg, München und Berlin, weitererzählt, wienerisch gedehnt oder berlinisch verknappt, auf Premierenfeiern, Geburtstagen, am Stammtisch im „Puccini“ in der Bismarckstraße, aufgeschrieben in seiner Sammlung „Schauspieleranekdoten“.

Der normannische Kleiderschrank (Curd Jürgens), die Bundes-Sirene (Caterina Valente), die Irre von Chaillot (Klaus Kinski), der Sterndeuter (Horst Buchholz), allen begegnet er im Lauf seiner Schauspielerjahre, steht mit ihnen auf der Bühne, vor der Kamera, ist längst nicht so bekannt wie sie, aber auch begabt, präzise in Sprache und Spiel. Trinkt und redet und feiert mit den Berühmtheiten, beobachtet zugleich gründlich, wenn sie Szenen schildern, andere, abwesende Mimen nachahmen, das eigene Gebärdenspiel genießend, mit großer Geste die Macken und Marotten der Kollegen zum Besten gebend, des Lachens der Zuhörer immer sicher. Jeden kann es treffen, jeden kränken, aufgebauschte Gerüchte, Spötteleien, Robert weiß das, er gehört ja zu ihnen, den Ruhm- und Gefallsüchtigen, den Eitlen, Empfindlichen und Angreifbaren, den Schauspielern. Nicht ewig bleibt die Haut glatt, das Haar dicht, die Rolle des jugendlichen Liebhabers fällt anderen zu, über das Geburtsjahr schweigt man, in Roberts Pass stehen in der entsprechenden Zeile nur drei Punkte.

Trotzdem liebt er den Klatsch, der so alt ist wie das Theater selbst, alle lieben diese Anekdoten und Histörchen, wollen sie immer wieder hören, also erzählt er sie, mit seiner warmen melodischen Stimme, sagt manchmal Worte wie „Kramure“ – „In der Wohnung dieses Herrn herrschte eine unbeschreibliche Kramure“ –, denn seine Mutter war Wienerin. Dort, in Wien, am Max-Reinhardt-Seminar, lernte er auch die Schauspielkunst. Oder er spricht wie sein Vater, mit Berliner Schnauze.

„Kramure“ gibt es nicht bei ihm zu Hause, am Nollendorfplatz, da ist es ordentlich, übersichtlich, kein Nippes, kein nutzloser Kram, dafür eine Schallplattensammlung, mindestens 30 000 Stück, die Callas, er liebt Maria Callas, muss nur einen Takt hören, um zu erkennen, welche Aufnahme es ist.

Er hat Freunde, Johannes Heesters ist einer. Mit dem spielt er 1996 / 97 in „Ein gesegnetes Alter“. Heesters kann schon kaum mehr sehen, braucht jemanden auf der Bühne, auf den er sich ganz und gar verlassen kann, vertraut einzig Robert. Als Robert aussteigt, die Tournee abbricht, hört auch Heesters auf.

Und Britta, seine Freundin, die mit der Schauspielerei nichts zu tun hat, die bei ihm ist, immerfort, am Ende drei-vier- mal in der Woche ins Krankenhaus, dann ins Hospiz fährt, staunt, wie gepflegt, wie gesund er trotz der tödlichen Krankheit aussieht, eine Chemotherapie kommt nicht infrage, das dichte Haar soll bleiben. Sie liest ihm vor, singt, hält seine Hand, denkt, er leidet wie ein Hund, warum gibt es keine Erlösung, aber Robert lässt nicht los, nicht Brittas Hand, nicht sein Leben. Dann doch, irgendwann.

Im Sommer 2008 fährt eine kleine Gruppe Trauernder zum Puccini in der Bismarckstraße. Das Restaurant ist geschlossen, für immer. Tatjana Wulfert

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