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Kein Durchkommen: Viele Fußgänger walzen einem rücksichtslos entgegen.

© Oliver Berg/dpa

Rempeleien auf dem Bürgersteig: Rückt mal ein Stück!

Wie Footballspieler walzen die Berliner in dicken Mänteln voran, immer auf Kollisionskurs. Was ist der Grund dafür, dass niemand Platz macht? Gedankenverlorenheit, Träumerei? Alles Quatsch! Ein wütender Appell.

Zu Beginn dieses Winters passierte etwas, das ich rückblickend als besonders nachdenkenswert empfinde. Ich lief durch einen kinderreichen Kiez, als mir auf dem Gehweg eine Mutter mit ihrem etwa siebenjährigen Sohn entgegenkam. Es war klar, dass der Gehweg für drei Personen nicht breit genug ist, dass einer von uns also ausweichen müsste. Entschlossen blickten Mutter und Sohn geradeaus. Ich ging so nah wie möglich an der Hauswand entlang, als die spitze Schulter des Siebenjährigen sich in meine Rippen bohrte. Seine Mutter: ungerührt. Er selbst: ungerührt. Fort waren sie. Bitte?
Und doch ist das Außergewöhnliche an dieser Begebenheit allein das Alter des Rüpels.

Ein dämliches Machtspiel: Wer zuckt zuerst?

Ständig wird man angerempelt. Und nun kommt mir nicht mit: Wir leben eben in einer großen Stadt, viele Menschen, oft Gedränge, blabla. Das lasse ich nicht gelten. Einer entgegenkommenden Person auszuweichen, ein paar Zentimeter Platz zu machen, ist nicht nur ein Zeichen von Respekt, sondern auch von Achtsamkeit. Denn, ja, wir leben in einer großen Stadt, passt aufeinander auf!

Natürlich ist das Ganze auch ein dämliches Machtspiel: Wer zuckt zuerst? Und gerade jetzt, im Winter, geben dicke Jacken und Schals das Gefühl der Unversehrbarkeit. Wer sich wie ein gepanzerter Footballspieler durch den Berliner Fußgängerverkehr bewegt, dem kann es egal sein, ob alle, die ihm entgegenkommen, aus Furcht das Weite suchen – oder unsanft verdrängt werden. Sollte es aber nicht. Wie oft wollte ich schon einem Jackenrücken hinterherrufen: Schau mal nach links und rechts! Oder einfach geradeaus, für den Anfang! Kein Mensch ist eine Insel! Häufig habe ich versucht, das Anrempeln mit Unachtsamkeit, Gedankenverlorenheit, Träumerei zu entschuldigen. Aber das ist natürlich Quatsch. Wer in andere Menschen rennt, der merkt das spätestens beim Aufprall. Eine Entschuldigung wäre gut. Darüber nachdenken und nächstes Mal aus dem Weg gehen wäre besser.

Immer weiche ich aus. Einer muss ja

Auch als Flirt ist das alles nur bedingt tauglich. Nicht jede Kollision ist sexy, nicht jedes erzwungene Ausweichen gleich eine super Voraussetzung für ein Kennenlernen auf Augenhöhe. Nur in Hollywoodfilmen beginnt die große Liebe mit Streit. Die Chance, dass eine Frau, der man gerade die Tasche von der Schulter geboxt hat, sich schockverliebt, ist extrem klein. Niemand, der sich vor breiten Schultern in die Gehwegbestuhlung eines Restaurants retten muss, wird denken: toll, ist der stark. Also nervt nicht, macht einfach auch mal Platz.

Dass ich mich über die Rempelei so ärgere, hat aber auch damit zu tun, dass ich immer – ich wiederhole: immer – zu den Ausweichern gehöre. Ich kann mir schon denken, dass dieses Verhalten etwas zu tun hat mit Konfliktvermeidung. Ach was, ich verbreite Liebe. Einer muss ja.

Kann sein, dass ich mir das einrede. So muss ich mir nicht eingestehen, was mir vor Jahren deutlich vor Augen geführt wurde: Mir weicht einfach niemand aus, nie. Es liegt an deiner Ausstrahlung, sagte damals meine Freundin Julia. Du wirkst zu sanft, du machst dich klein. Das geht so nicht. Und sie ersann einen pädagogischen Plan. Rücken grade, Kopf hoch und einmal untergehakt über die Warschauer Brücke. Nicht ausweichen. Präsenz zeigen. Am Ende der Brücke angekommen, bettelte ich, das Experiment zu beenden. Meine rechte Seite und der grade Rücken schmerzten. Natürlich war mir niemand ausgewichen.

Männer schauen ihr Gegenüber an und entscheiden dann

Tatsächlich ist das Problem offenbar tief in der Gesellschaft verwurzelt. Es gibt einfach Menschen, die auf dem Gehweg beiseite gehen und solche, die es nicht tun. Aus Prinzip. Mischwesen sind selten. Eine nicht repräsentative Umfrage zeigte mir, dass die jeweilige Eigenschaft mit dem Geschlecht der Person korreliert. Nicht überraschend, weichen Frauen häufiger aus. Männer hingegen schauen sich ihr Gegenüber genau an und entscheiden dann – Platz machen oder dagegenhalten.

Ach, wenn es so einfach wäre. Rücksichtslosigkeit ist unisex.

Na klar, in der Natur gilt das Recht des Stärkeren. Stärker ist, wer rempelt. Ich hab aber keine Lust mehr auf dieses Spielchen. Und jetzt rückt mal ein Stück.

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