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So bunt stellt man sich oft Russland vor. In Berlin leben etwa 300.000 Russen, die am 7. Januar Weihnachten feiern.

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Am 7. Januar: Russisch-Berlin zu Weihnachten

Weihnachten steht vor der Tür. Jedenfalls für die 300.000 Russen, die in der Hauptstadt wohnen. Die Weihnachtsbotschaft in russisch-Berlin lautet: Was sich Hunderte von Jahren zusammengerauft hat, soll zusammenwachsen.

Russland feiert Weihnachten am 7. Januar, seit 1991 ist der Tag wieder offiziell. In Berlin interessiert das nur die 300.000 Russen, die hier leben – mit eigenen Supermärkten, Buchhandlungen, Radiosendern, Theatern, Restaurants. Manches Gezeter über „die reichen Russen“, ihr bräsiges, lautes Benehmen in Restaurants, die Art, wie sie Rechnungen im KaDeWe direkt aus der Gesäßtasche bezahlen, ist abgeflaut. Einzelfälle, vergleichbar mit den Auftritten mancher Landsleute im Ausland, Peanuts. Die hiesige russische Gesellschaft, fällt kaum noch als Fremdkörper auf. Sie trägt, das hat sich herumgesprochen, nicht unerheblich zum Bruttosozialprodukt bei. Weniger bekannt ist, dass sie kulturell zum Ansehen der Stadt beiträgt – viele Maler, Schriftsteller, Tänzer leben und arbeiten hier.

Das hat seine Vorgeschichte. Bis 1933 strömten sie auf der Flucht vor der roten Diktatur oder aus Interesse an den Goldenen Zwanzigern nach Berlin. Auch diese Bewegung hatte Vorläufe. Denn seit Katharina aus Anhalt-Zerbst, die Große die Deutschen vor 300 Jahren nach Russland geholt hatte, gab es Zuwanderung in beide Richtungen und heftige dynastische Verbindungen. Aus dieser Kontinuität fielen die Beziehungen zwischen 1933 und 1989, der Hitler-Stalin-Pakt 1939 ein teuflischer Höhepunkt -, in ein schwarzes Loch aus Krieg und Diktatur. Zur DDR-Zeit wurden russische Soldaten im Westen als Besatzer, in der DDR ironisch als „Freunde“ wahrgenommen. Die „Freunde“ hatten entgegen der politischen Oberfläche striktes Kontaktverbot mit den DDR-Deutschen. Anderthalb Generationen lang war die deutsch-russische Kontinuität unterbrochen, aber nicht beendet. Jetzt sind die Russen zurück, und Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Russlands.

Störfaktor Politik

Natürlich kann niemand den Störfaktor Politik übersehen. Die verstörenden Einzelheiten des dortigen Umgangs mit Demokratie und Menschenrechten sind abstoßend nach unseren Maßstäben. Die derzeit gnadenreiche Kreml-Politik verhindert, auch wenn Medienberichte nicht eins zu eins genommen werden können, das Entstehen enger politischer Beziehungen zwischen beiden Ländern. Sie verhindert nicht das spannungsfreie Hineinwachsen der Russen jenseits der Politik in die hiesige Gesellschaft. Nur nach dem Befinden der Ausländerbehörde handelt es sich um Migranten, historisch gesehen um Stammgäste. Von ihnen wird niemand die Bombenanschläge in Wolgograd vergessen, die nicht nur an das Sicherheitsbedürfnis der Internationalen Sportwelt in Sotschi rühren. Denn sie zeigen die konkrete Schutzlosigkeit des riesigen Landes gegenüber den brutalen Waffen der Islamisten. In Berlin reagiert man darauf mit Kultur.

Berühmter russischer Weihnachtschor in Berlin zu Besuch

Die Weihnachtsbotschaft in russisch-Berlin lautet: Was sich Jahrhunderte von Jahren zusammengerauft hat, soll zusammenwachsen. Der Auftritt eines berühmten russischen Weihnachtschors in der russischen Botschaft machte hörbar, wonach die flüchtige Großstadtseele sucht. Mit der Musik von Rachmaninow, Tschaikowsky, Bach und Weihnachtsliedern verzauberte der Chor von 40 halbwüchsigen, hochbegabten Sängern die ewig abgelenkte Stadtgesellschaft. Vergessen das Trennende, Tägliche. Über Kultur vermittelt: Innehalten, Einkehr, Zusammengehörigkeit. Diese Weihnachtsbotschaft ist nicht exklusiv, schließt andere, woher auch immer sie kommen, ein. Ihr sei Dauer gewünscht.

Uwe Lehmann-Brauns

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