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Berlin: S-Bahn-Abfertiger lehnte es ab, nach Überfall die Polizei zu rufen

BERLIN .Erst wollte die Aufsicht auf dem Bahnsteig nicht helfen, später war sie spurlos verschwunden.

BERLIN .Erst wollte die Aufsicht auf dem Bahnsteig nicht helfen, später war sie spurlos verschwunden.Der Vorfall, den die Eltern des 16jährigen Jan P.schildern, erschreckte auch die Polizei: Nachdem der Jugendliche auf dem S-Bahnhof Frohnau zusammengeschlagen wurde, wandte er sich, stark im Gesicht blutend, an die Aufsicht.Statt dem Opfer zu helfen oder die Polizei zu holen, verwies der S-Bahner den Jungen zum Telefonieren an einen Zeitungskiosk.Eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung verlief im Sande, da die an diesem Tag diensthabende Aufsicht nicht mehr zu ermitteln war.

Die Eltern des 16jährigen meldeten sich erst jetzt zu Wort, nachdem das offensichtliche Desinteresse zweier S-Bahner zum Tode eines 23jährigen Mannes führte.Wie berichtet, war der Mann vor zehn Tagen von einem Zug überrollt worden, obwohl eine Zeugin den Sturz auf die Schienen rechtzeitig gemeldet hatte.

Der 16jährige war auf dem S-Bahnsteig Frohnau von einem mußmaßlich türkischen Jugendlichen ohne vorherigen Streit mehrfach ins Gesicht geschlagen worden.Nachdem der Schläger geflüchtet war, ging der Schüler mit stark blutenden Verletzungen an Lippe und Auge zum Abfertiger und bat um Hilfe.Der S-Bahner schickte ihn weg: Er solle doch vom Zeitungskiosk im Bahnhofsgebäude telefonieren.

Als die Eltern davon später nach der Behandlung im Krankenhaus erfuhren, fuhren sie zur Polizei.Auf dem Abschnitt 11 in Heiligensee wurden zwei Anzeigen gefertigt, eine gegen den Schläger, eine gegen den S-Bahner wegen unterlassener Hilfeleistung.Später gab die Polizei die Fälle an den Bundesgrenzschutz ab.Die Ermittlungen des BGS sind nach Angaben der Eltern bis heute nicht abgeschlossen - telefonisch wurde den Eltern mitgeteilt, daß sich nicht einmal ermitteln ließ, wer am 8.Juni 1998 Dienst hatte.Auf Anfrage konnte der BGS gestern nicht den aktuellen Stand der Ermittlungen nennen.Nach Aussagen der Sicherheitsbeauftragten der S-Bahn, Ellen Karau, lassen sich alle Dienstpläne nachvollziehen.

Aber offensichtlich nicht, wenn Ersatz bei Krankheit kurzfristig einspringt.Der BGS empfahl dem Jungen aus Frohnau deshalb, immer auf dem Bahnsteig nachzuschauen, ob der S-Bahner wieder auftaucht.Karau hält die Schilderung der Eltern von Jan P.für unmöglich: "Die Aufsicht ist verpflichtet und befähigt, die Polizei zu holen, wenn sich ein Fahrgast meldet und aus Mund und Nase blutet." An diesem Tag sei kein "besonderes Vorkommnis" in Frohnau verzeichnet.Wie berichtet, haben die Bahnsteige nur ein bahninternes Telefon, aber keinen direkten Telekom-Anschluß.Hilferufe an Polizei oder Notarzt vom Bahnsteig sind nur über den Umweg Betriebsleitstelle möglich.

Jedes Jahr "Anti-Havarie-Training"

S-Bahn-Aufsichten bekommen regelmäßig eine Weiterbildung

Aufsichten sind in der Regel "Facharbeiter im Eisenbahnbetrieb" oder "Verkehrskaufleute", die in zwei oder drei Jahren Ausbildung die S-Bahn von der Pike auf erlernt haben.Diese Fachkräfte können auch an anderer Stelle im Betrieb eingesetzt werden, zum Beispiel auf Stellwerken.Zum Teil beschäftigt die S-Bahn auf den Bahnsteigen auch angelerntes Personal, das in drei bis vier Monaten ausschließlich auf die Tätigkeit als Zugabfertiger vorbereitet wurde.

Bei der S-Bahn mit insgesamt 4305 Mitarbeitern sind die Aufsichten mit 929 Stellen eine der größten Berufsgruppen (Stand Ende 97).Alle bekommen an drei bis vier Tagen pro Jahr eine Weiterbildung vor allem im "Anti-Havarie-Training", das heißt Umgang mit Störungen des Betriebes.Auf manchen Bahnhöfen wie Frohnau oder Lehrter Bahnhof fertigen sie Züge direkt auf dem Bahnsteig ab, auf anderen Stationen wie zum Beispiel Bellevue oder Alexanderplatz aus Abfertigerhäuschen.Anders als die BVG will die S-Bahn nicht auf die Abfertiger auf den Bahnsteigen verzichten.So heißt es in einer internen Broschüre der S-Bahn: "Allein schon die Präsenz, besonders aber korrektes, überlegtes Handeln kann Konfliktsituationen wirksam entspannen." Dazu werde das Personal pädagogisch und psychologisch geschult, "um deeskalierend einzugreifen", heißt es weiter. Ha

JÖRN HASSELMANN

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