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Komm auf die Schaukel, Luise. Früher konnte man an der Schloßfreiheit noch auf und nieder schwingen.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Humboldt-Forum und deutsche Identität: Schloss ohne Schaukel

Der niederländische Kulturhistoriker und Journalisten Merlijn Schoonenboom sinnt über die Deutschen nach.

Es muss so an die zehn Jahre her sein, da hing an dem Baum, der sich unterhalb der Schloßfreiheit, nahe dem Standort des ehemaligen Nationaldenkmals mit dem Reiterstandbild Wilhelms I., breitgemacht hat. eine Kinderschaukel: zwei Seile, ein Brett. Sie ist seit langem weg, für den niederländischen Kulturhistoriker und Journalisten Merlijn Schoonenboom ein „Sinnbild für die verspielte Freiheit dieser Stadt“. Mit seinem Buch „Ein Palast für die Republik“ hat er „Eine kleine Geschichte der großen deutschen Suche nach Identität“ vorgelegt (Argobooks, Berlin. 300 Seiten. 19,80 Euro).

Rückkehr in die heile Vergangenheit

Zumindest virtuell ist das Humboldt-Forum in der wiedererstandenen Schlosshülle eröffnet worden, Zeit für einen Blick zurück. Was sagt der Wiederaufbau des alten Schlosses über die Deutschen aus? „Indem der alte Palast wiedererrichtet wird, kehrt das Land in jene Zeit zurück, bevor alles in die Brüche ging, in die Zeit vor der großen deutschen Schuld“, schreibt Schoonenboom. Wie ein Ethnologe schaut er auf die Deutschen, versteht anfangs nicht die Aufregung um den möglichen Wiederaufbau, bestaunt die leere Fläche, auf der einst der Palast der Republik stand. Seit 2009 radelt der Korrespondent jeden Tag auf dem Weg zu seinem Büro daran vorbei. Aber bei der Grundsteinlegung 2013 merkte er, dass die Geschichte zurückgekehrt ist, eine ernste Angelegenheit. Er kontrastiert diese Zeremonie mit der fröhlichen Wiedereröffnung des Rijksmuseums Amsterdam samt orangenem Feuerwerk vom Dach aus.

Die Schaukel, das "Sinnbild für die verspielte Freiheit dieser Stadt", ist verschwunden.
Die Schaukel, das "Sinnbild für die verspielte Freiheit dieser Stadt", ist verschwunden.

© Rolf Brockschmidt

Erstaunt registriert der deutsche Leser durch den Blick von außen, wie viel dieses alte Schloss, der Palast der Republik, die Leerfläche und der Wiederaufbau mit den politischen und kulturellen Stimmungen in der Stadt und im Land verbunden sind. Für Schoonenboom ist das Schloss „in den letzten 150 Jahren immer wieder der Seismograf der gesellschaftlichen Empfindungen gewesen. Die Visionen der politischen Elite des Landes kommen hier in jeder Epoche zum Ausdruck, aber auch die Angriffe ihrer Widersacher.“

Bei der Grundsteinlegung blieb man unter sich

Sein Streifzug durch die jüngste Mentalitätsgeschichte der Deutschen und ihre Suche nach ihrer Identität macht er immer wieder am Schloss und dessen Nachfolgebau fest. Geschickt verknüpft er dabei eine reportageartige Chronik der Schlossdebatte mit kleinen amüsanten Randbeobachtungen, mit signifikanten Details, die bei der normalen Berichterstattung eher wegfallen – etwa dass bei der Grundsteinlegung von den Kulturen, mit denen man den Dialog feiern möchte, so gut wie niemand vertreten war.

Flüchtlingsthematik, Aufstieg der AfD, Umgang mit Muslimen, all das beobachtet Schoonenboom im Lauf der letzten zehn Jahre mit scharfem Blick, um am Ende festzustellen, dass die Deutschen bereit sind, sich den Debatten zu stellen, den Gegensatz zwischen Rekonstruktion des Alten und Ausblick auf den Dialog der Kulturen auszuhalten und fruchtbar zu nutzen.

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