
© dpa/Patrick Pleul
Arbeitsbelastung in der Schule: Fast jede zweite Berliner Lehrkraft würde Beruf nicht noch einmal wählen
Schulalltag ist oft anstrengend. Viele Berliner Lehrerinnen und Lehrer sehen sich an der Belastungsgrenze. Gewerkschafter fordern Konsequenzen.
Stand:
Viele Lehrkräfte an Berliner Schulen fühlen sich überlastet und sind frustriert über ihre Arbeitsbedingungen. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Universität Göttingen.
Einen Teil der Ergebnisse hat die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin vorgestellt. Die Studie basiert unter anderem auf einer Online-Umfrage, an der 2384 Lehrerinnen und Lehrer in Berlin teilgenommen haben.
Danach sehen Lehrkräfte ihre Berufsentscheidung oft kritisch. Auf die Frage, ob sie den Lehrerberuf heutzutage noch einmal ergreifen würden, antwortete fast die Hälfte (46 Prozent): „Nein, ich würde mich nicht wieder dafür entscheiden.“ Weitere 41 Prozent sagten, sie seien sich nicht sicher, ob sie das tun würden. Nur eine deutliche Minderheit (13 Prozent) antwortete „Ja, sicher“.
Viele Lehrer würden ihren Beruf nicht weiterempfehlen
Und 20 Prozent sagten, sie würden den Beruf weiterempfehlen. Mit 35 Prozent sagten deutlich mehr Befragte, sie würden dies nicht tun. Fast die Hälfte (45 Prozent) war unentschieden, ob sie den Beruf weiterempfehlen würde. Damit liegt der Lehrerberuf weit unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten: Bundesweit würden 69 Prozent ihre Tätigkeit weiterempfehlen.
„Die Ergebnisse zeigen mit großer Deutlichkeit: Die derzeitigen Arbeitsbedingungen im Berliner Schuldienst sind wenig attraktiv“, kommentierte der Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften an der Universität Göttingen, Frank Mußmann. „Dies dürfte ein wichtiger Grund des aktuellen Lehrkräftemangels sein.“
Gewerkschaft fordert Entlastung für die Lehrkräfte
Viele Lehrerinnen und Lehrer weisen bei der Umfrage auf hohe Arbeitsbelastung hin, fühlen sich unter starkem Zeitdruck und arbeiten regelmäßig am Wochenende. „Lehrkräfte erleben eine starke Entgrenzung ihrer Arbeitszeit“, sagte die Berliner GEW-Vorsitzende Martina Regulin. „Ohne verbindliche Erfassung werden sich Arbeitsverdichtung, Erschöpfung und Berufsausstiege weiter zuspitzen.“
Grund sei, dass immer mehr Aufgaben in die Schule verlagert würden. Lehrerin und GEW-Funktionärin Lydia Puschnerus betonte, wie groß die Verantwortung gerade in einer Stadt wie Berlin werden könne, wo ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Armut lebt: „Als Klassenleitung bin ich Psychologin, Sozialarbeiterin und, wenn’s hart auf hart kommt, auch die Person, die den Kontakt zur Polizei hält.“
Kontraproduktiv sei es daher, dass die Bildungsverwaltung unter Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch den Rotstift bei der Zusammenarbeit mit externen Trägern und der Schulsozialarbeit ansetze – eins der Angebote, das von der Mehrheit der Befragten als Erleichterung der eigenen Arbeitslast wahrgenommen werden. Das gelte allerdings nur, wenn dafür keine Lehrerstellen umgewandelt würden, sagte Puschnerus. „Das hilft uns nicht weiter.“
Dass immerhin 80 Prozent der Befragten angab, an der eigenen Schule bleiben zu wollen, ist laut Lehrer und GEW-Mitglied Ralf Schäfer kein Lichtblick: „Viele Kollegen wechseln nicht, weil sie gar nicht die Hoffnung haben, dass es woanders besser ist.“
Die Bildungsverwaltung müsse jetzt handeln. Die GEW fordert daher unter anderem zusätzliche Stellen auch für andere Berufsgruppen wie Sozialarbeiter an den Berliner Schulen. Sinnvoll sei außerdem, Lehrkräfte zu entlasten, indem Aufgaben zum Beispiel an IT-Fachkräfte oder die Schulassistenz übertragen würden.
Der schulpolitische Sprecher der Grünen, Louis Krüger, nannte die Ergebnisse der Studie „alarmierend“. Kleinere Klassen, multiprofessionelle Teams und eine verbindliche Arbeitszeiterfassung seien nötig, doch die Verwaltung bleibe untätig. „Wir fordern den Senat auf, endlich ein umfassendes Maßnahmenpaket für gute Arbeitsbedingungen an Schulen vorzulegen“, sagte Krüger. Statt „Direktiven aus der Bildungsverwaltung“ brauche es zudem es eine breite Beteiligung der Beschäftigten und Transparenz über die Entscheidungsfindung, damit sich die Akzeptanz und das Gefühl der Wertschätzung unter Lehrkräften erhöhe. (mit dpa)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: