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Gemeinschaftsschule: Eine für alle, alle für eine

Am Montag begann die aktuelle Anmeldefrist für Berlins 17 Gemeinschaftsschulen. Anders als an Sekundarschulen dürfen Schüler hier nicht nach Leistung aufgeteilt werden. Zwei Beispiele.

Auf Kissen in einer Ecke des Klassenzimmers haben es sich drei Jungen und ein Mädchen gemütlich gemacht. Jeder hat ein Buch dabei und liest den anderen daraus vor. Der sechsjährige Eric hat eine Geschichte mit vielen Bildern ausgewählt, er nutzt seinen Zeigefinger als Lesehilfe und braucht Zeit, um die Sätze zu bilden, die vor ihm stehen. Luna, acht Jahre alt, hat den Roman „Luzie – der Schrecken der Straße“ mitgebracht und liest flüssig aus Luzies Abenteuern.

Die Kinder gehören zur jahrgangsübergreifenden Lerngruppe „Die Füchse“ der Pankower Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule. Im Jahr 2008 ist die Schule als Pilotprojekt mit 104 Schülern in den Klassen eins und zwei an den Start gegangen. Im zweiten Jahr hat sich die Schülerzahl verdoppelt, und viele weitere Bewerber mussten abgewiesen werden, sagt Rektorin Gabriele Anders-Neufang. Andernfalls bliebe kein Platz für die kommenden Jahrgänge.

„Mein Wunsch war schon immer, die Kinder nicht nach der sechsten Klasse abgeben und aufteilen zu müssen“, sagt die Schulleiterin, die zuvor als Grundschullehrerin gearbeitet hat. Als das Angebot des Bezirks kam, eine neue Gemeinschaftsschule aufzubauen, nahm sie sofort an. Die Zwischenbilanz, sagt sie nun, fällt hervorragend aus: „Wir lernen anders als andere, und es funktioniert.“

Anders als andere, das bedeutet: Die Schüler werden nicht nur in der Schulanfangsphase, sondern von der ersten bis zur zehnten Klasse in den nahe beieinanderliegenden Jahrgängen gemischt unterrichtet. Frontalunterricht gibt es nicht: Die Schüler erarbeiten sich den Stoff selbst. In einigen Fächern lernen sie projektorientiert, in anderen Fächern wird der Stoff des Rahmenlehrplans in „Fahrstühlen“ behandelt: Dabei können die Schüler ankreuzen, ob sie „Rechnen bis 10“ oder schon „Addieren und Subtrahieren bis 1000“ beherrschen.

Benotet werden sie dabei nicht. Aber es gibt Kontrollarbeiten, zu denen sich die Schüler anmelden, sobald sie glauben, so weit zu sein. Und es gibt verbale Bewertungen, die zum Ende eines Halbjahrs mit den Eltern besprochen werden. Dann stellen die Schüler auch ihre Fortschritte vor und setzen sich neue Ziele. „Ich erkläre gut“, steht beispielsweise auf den Blättern oder „ich arbeite leise“.

Ein wenig nach heiler Welt sieht es in der Ganztagsschule schon aus: Für die Frühstückspause etwa hat jedes Kind ein Pausenbrot dabei. Zwar seien die Eltern keineswegs alle wohlhabend, sagt Anders-Neufang – „bildungsinteressiert“ jedoch schon. Grundsätzlich sei die Schülermischung aber dem Zufall überlassen. Rund zehn Schüler haben momentan sonderpädagogischen Förderbedarf. „Der Unterricht ist darauf ausgerichtet, dass jeder Einzelne persönliche Lernfortschritte macht“, sagt Anders-Neufang – soweit es ihm möglich ist.

Es gebe bereits Anfragen von Eltern, die ihre Kinder nach der vierten Klasse gern aus der Grundschule nähmen und zur Humboldt-Schule brächten statt in ein grundständiges Gymnasium, berichtet Anders-Neufang. Der Bezirk habe aber Bedenken, eine zusätzliche Klasse einzurichten. Die Anfragen der Eltern sieht die Leiterin allerdings als Bestätigung ihrer Arbeit und als „Abstimmung mit den Füßen.“ Trotz Gymnasialempfehlung würden die Kinder so auf einem alternativen Weg zum Abitur gelangen.

Zu den Zielen der Schule gehört es, bis zur gymnasialen Oberstufe hochzuwachsen. Auf die Dauer, sagt Anders-Neufang, „wollen wir für Berlin beweisen, dass langes gemeinsames Lernen ohne Noten, aber mit viel Motivation und Vertrauen möglich ist.“

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