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Treffen in Krakau. KZ-Überlebender Bronislaw Przedpelski (li), Tagesspiegel-Redakteurin Susanna Nieder und ihr Vater im Sommer 1983.
© privat

Ferienerlebnisse: Mein Sommer 1983: Versöhnung mit Krautsalat

Unsere Autorin war achtzehn, als sie sich zum Abitur eine Reise in den Ostblock wünschte. Von Interhotel zu Interhotel ging es, und in Krakau machte sie eine beeindruckende Bekanntschaft.

Von Susanna Nieder

„Waren Sie im Krieg?“, fragte Bronislaw Przedpelski. Mein Vater nickte. Przedpelski war als polnischer Beamter sechs Jahre lang im KZ Buchenwald, mein Vater den gesamten Krieg als Sanitäter an der Front gewesen. Unser polnischer Freund hob die Schultern. „So war das eben“, sagte er.

Ich traute meinen Ohren nicht. Vom Austausch in England war ich es gewöhnt, schon mit 16 Jahren für Hitlers sämtliche Verbrechen geradezustehen, meistens vor Menschen, die den Krieg genauso wenig erlebt hatten wie ich. Es war Sommer 1983, ich war 18 Jahre alt und hatte mir zum Abitur eine Reise wünschen dürfen. Ich wollte in den Ostblock. Nun stand ich in Krakau mit zwei alten Männern, die das Schlimmste gesehen hatten – und soeben war in zwei kurzen Sätzen die Versöhnung ausgesprochen worden.

Das musste gefeiert werden. Wir fuhren in die Zweizimmerwohnung der Przedpelskis, wo Bronislaw mit seiner Frau, einer Tochter, deren Mann und Sohn wohnte. Es wurde aufgefahren, was die Essensmarken für den ganzen Monat hergaben, und mein Vater raunte mir zu: Reinhauen! Je mehr, desto besser! Das waren wir unseren Gastgebern schuldig.

Die Begegnung mit Bronislaw Przedpelski und seiner Familie war das Herzstück unserer Reise durch Tschechoslowakei, Polen und DDR bis Berlin. Es war ein heißer Sommer, mein Vater kutschierte uns von Interhotel zu Interhotel, wo wir Unmengen des nationenübergreifenden Standardgerichts Fleisch mit Krautsalat vertilgten. Ich hatte endlich die Schule hinter mir, mein Vater war noch nicht lange im Ruhestand – uns ging es prächtig.

Ich sah zum ersten Mal Prag, Krakau, Breslau, Dresden und Potsdam in der seltsamen Ostblockmixtur aus unübersehbaren Kriegsschäden, verwahrlosten Altbauten und sozialistischen Neubauten. Das zog einem das Herz zusammen, genauso wie das Wissen, dass wir kommen und gehen konnten, die anderen aber nicht. In West-Berlin atmeten wir auf und schworen uns, nie wieder Fleisch mit Krautsalat zu essen. Der Wunsch war zu naiv, um ihn zu laut äußern. Aber insgeheim hoffte ich doch, dass sich die Mauer eines Tages irgendwie in Luft auflösen würde.

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