zum Hauptinhalt

Schule: Unterricht im Leben

Beim „Produktiven Lernen“ sind Schüler drei Tage pro Woche im Betrieb. Das Angebot soll es auch an den Sekundarschulen geben

Die Arbeit von Alexander Labauve scheint die eines ganz normalen Azubis zu sein: In einem Geschäft für Kinderspielzeug sortiert der 18-Jährige Plastikbagger und Stofftiere in die Regale und berät Kunden. Aber Alexander Labauve ist kein Azubi – er besucht die zehnte Klasse der Schöneberger Waldenburg-Hauptschule und nimmt dort am Bildungsangebot „Produktives Lernen“ teil. Drei Tage wöchentlich verbringt er deshalb an seinem „Praxislernort“, dem Spielzeuggeschäft. Zwei Tage geht er zur Schule. „Ich glaube nicht, dass ich auf meiner früheren Schule einen Abschluss geschafft hätte“, sagt Alexander. Nun ist der erweiterte Hauptschulabschluss greifbar nah für ihn.

Die Methode des Produktiven Lernens ist im Berliner Schulgesetz als Form des dualen Lernens anerkannt. Bei der Schulreform, die nächste Woche beschlossen werden soll, wird duales Lernen ein „Schlüsselthema“ sein, hatte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) gesagt. Bis zu drei Tage soll deshalb auch künftig außerhalb der Schule an Praxislernorten gelernt werden können – wie beim Produktiven Lernen. Hier geht es darum, einen allgemeinbildenden Schulabschluss zu erreichen und den Übergang ins Berufsleben zu erleichtern.

Das Produktive Lernen ist damit eine Variante des dualen Lernens, das laut Senatsbildungsverwaltung eine „sinnvolle Verknüpfung von schulischem Lernen und Lernen am Praxisort“ sein soll. In der Integrierten Sekundarschule soll ab der siebten Klasse mindestens ein solches Angebot pro Jahr vorhanden sein. Das können in Klasse 7 Betriebserkundungen, ab Klasse 8 Praktika sein. Schülerfirmen können gegründet werden, hinzu kommen Angebote wie der Girls´ Day. In Zukunft soll es außerdem ein Internetportal mit Angeboten aus der Wirtschaft zum dualen Lernen und eine Datenbank mit „best practice“-Beispielen wie dem Produktiven Lernen geben, hieß es.

Einzelne Angebote, aus denen die Schulen beliebig wählen können, reichen der CDU nicht. Sie fordert anstelle der bisherigen Hauptschule einen separaten „Praktischen Bildungsgang“. „In der Koalition gibt es keine Vorstellungen davon, wie duales Lernen konkret im Gesetz verankert werden soll“, kritisiert CDU-Bildungspolitiker Sascha Steuer. „Wir wollen modularisierte Formen des dualen Lernens wie das Produktive Lernen“ – allerdings verbindlich, wie Steuer betont.

Praxisorientierte Lernformen mitsamt den schwächeren Schülern dürften nicht in einen separaten Bildungsgang abgeschoben werden, lehnt Bildungsexperte Özcan Mutlu (Grüne) den CDU-Vorschlag ab. Das duale Lernen dürfe nicht zum „Abstellgleis“ werden. Die Angebote müssten freiwillig wahrgenommen oder per Jahrgangsbeschluss empfohlen werden. Die Möglichkeit, höhere Abschlüsse zu erreichen, solle offen bleiben.

An der Waldenburg-Schule, an die Alexander Labauve geht, lernen momentan 54 Schüler im Produktiven Lernen – freiwillig. Diese neunten und zehnten Klassen existieren neben der normalen Hauptschule recht autonom. „Unsere Schüler haben einen Bruch in ihrer Schülerbiographie“, sagt Rainer Finke, der den Bereich mit aufgebaut hat. Die meisten Jugendlichen sind an ihren alten Schulen sitzen geblieben, einige kommen aus Schulverweigerer-Projekten. Um einen Platz im Produktiven Lernen zu bekommen, müssen sie sich bewerben: „Wir müssen das Gefühl haben, dass sie wollen.“ Nur etwa die Hälfte, so Finke, werde genommen.

Wenn diese Hürde geschafft ist, wird das Lernen anders organisiert als zuvor. Zwei Jahre lang sind die Schüler je drei Monate an einem von ihnen gewählten Praxislernort – bei der 16-jährigen Christina Düring etwa war das zuletzt eine Kita, nun ist es ein Friseur. Trotzdem geht es nicht nur ums Babysitten und Haare waschen: In der Kita musste sie die Arbeitsabläufe auf Englisch beschreiben, für die Deutschhausaufgaben einen täglichen Bericht verfassen. Sie zeichnete den Grundriss des Gebäudes und rechnete die Menge der Plätzchen-Zutaten für alle Kinder aus. „Höhere Mathematik kommt da natürlich nicht vor“, sagt Finke. Dafür sollen die beiden Tage in der Schule da sein.

Nächstes Schuljahr fusioniert die Waldenburg-Schule mit der angrenzenden Realschule zur Sekundarschule. „Ich gehe davon aus, dass wir als Projekt bestehen bleiben“, sagt Rainer Finke. Gut für Schüler wie Christina und Alexander, die das Produktive Lernen als Chance aufgefasst haben. Christina will den Mittleren Schulabschluss und im Anschluss das Fachabitur in Sozialwesen machen. Alexander kann sich jetzt vorstellen, eine Ausbildung anzufangen – und sich dafür im Spielwarengeschäft zu bewerben.

Am 11. Februar organisieren die Schulen, die Produktives Lernen in Berlin anbieten, von 16 bis 19 Uhr einen Tag der offenen Tür. Standorte und Infos: www.iple.de

Zur Startseite