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Berlin: Scientology – inkognito

Ein „Menschenrechtsverein“, der der Organisation nahe steht, will in Berlin ein Beratungsbüro eröffnen

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Die Ecke ist geschickt gewählt. Gegenüber dem Ladenlokal in der Joachimstaler Straße in Charlottenburg steht ein Ärztehaus, an der Ecke eine Apotheke. Schon durch die Wahl des Ortes für ihre Ausstellung versucht die „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland“ (KVPM) ihrem Anliegen einen seriösen, sozusagen gesundheitsförderlichen Anstrich zu geben. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Marketingstrategie von Scientology.

Die KVPM, die sich selbst als „Menschenrechtsverein“ bezeichnet, wurde 1972 von Scientology-Mitgliedern gegründet. Nach eigener Aussage unterhält der Verein in Deutschland 17 Anlaufstellen, darunter in München, Düsseldorf und Hamburg. Demnächst soll auch eine „Anlaufstelle für Psychiatriebetroffene“ in Berlin eröffnet werden. Eine „Berliner Beauftragte“ hat die Kommission schon.

In den vergangenen Wochen trat die KVPM in der Hauptstadt mit der Ausstellung „Psychiatrie: Tod statt Hilfe“ in Erscheinung. Die Räume in der Joachimstaler Straße seien aber nur für die Schau angemietet worden, für die Beratungsstelle suche man noch ein Büro, sagt Bernd Trepping, der Sprecher des Vereins.

Im Januar erst hatte Scientology eine große Haupstadtrepräsentanz an der Otto-Suhr-Allee eröffnet. Dort aber will die KVPM nicht einziehen. Man will den Anschein wahren, als habe der Verein nichts mit Scientology zu tun. „Wir wollen informieren. Aber das hier ist nicht Scientology“, betont KVPM-Mitarbeiterin Maria Seegerer. Gleichzeitig macht sie wie auch die anderen Mitarbeiter keinen Hehl daraus, dass sie überzeugte Scientologen sind und die Kommission von Scientology finanziert wird.

2169 Menschen haben die Ausstellung in der Joachimstaler Straße besucht, sagt Seegerer. Sie zeigt auf Stellwänden und pseudodokumentarischen Filmen die Geschichte der Psychiatrie als „barbarische Pseudowissenschaft“: Sie beginnt mit unhaltbaren Zuständen in mittelalterlichen Irrenhäusern, setzt sich fort in der Eugenik des NS-Staates und endet bei der Verabreichung von Ritalin an hyperaktive Kinder. Die Aussage: Was vor 500 Jahren folterähnliche Methoden in den Irrenhäusern waren, sind heute Psychopharmaka für Psychiatriepatienten. Zum Teil werden die Behauptungen mit Statistik etwa aus dem Arzneiverordnungs-Report unterlegt, die beweisen, dass die Verordnung von Antidepressiva zugenommen hat. Hier und da kommt Scientology-Gründer Ron Hubbard zu Wort. Statt Arznei empfahl er seine „Dianetik“, die man in teuren Kursen erlernen soll.

Da viele Berliner Psychiatrieopfer in die Ausstellung gekommen seien, gebe es einen großen Bedarf für die neue Anlaufstelle, sagt Bernd Trepping. So habe eine Frau erzählt, dass sie in einer psychiatrischen Anstalt in Berlin von Pflegern vergewaltigt worden sei. Solchen Fällen wolle man nachgehen und die Täter zur Rechenschaft ziehen.

Die Gesundheitsverwaltung des Senats beobachtet die Aktivitäten von KVPM mit Sorge. „Die Diffamierungskampagne der Scientologen gegen das etablierte Behandlungs- und Beratungssystem in der Psychiatrie schürt in unverantwortlicher Weise Ängste bei der Bevölkerung“, sagt Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher. Mit zweifelhaften Dokumentationen vermittelten die Scientologen ein falsches Bild der Psychiatrie und versuchten, die seelische Notlage von Menschen zum Mitgliederfang zu nutzen. „Menschen, die sich in seelischer Not befinden, benötigen fachlich versierte Hilfe. Diese erhalten sie bei dafür ausgebildeten Ärzten und Therapeuten und nicht bei den Scientologen. Es gebe in Berlin ein System qualifizierter Beratung und Behandlung, etwa den Krisendienst.

„Die KVPM ist ein fester Bestandteil von Scientology“, sagt Ursula Caberta, Scientology-Expertin in der Hamburger Innenverwaltung. Die Kommission sei einer der politischsten Arme und eine Marketingstrategie der Organisation, die der Mitgliederwerbung diene. KVPM versuche, auf aktuelle Debatten aufzuspringen und die medikamentenkritische Stimmung in Teilen der Bevölkerung auszunutzen.

Die KVPM kann sich in Berlin sogar mit der Unterstützung durch eine staatliche Stelle schmücken. „Druck vom Datenschutz: Psychiatriechef der Charité im Verzug“ titelt die jüngste Pressemitteilung der KVPM. Das Büro des Datenschutzbeauftragten habe dem leitenden Psychiater der Benjamin-Franklin-Klinik Druck gemacht, damit er einem „Menschenrechtsverein“ die Auskunft über die Zahl der Verstorbenen seiner Klinik nicht länger verweigere und die Zahl der Patienten, die einer Elektroschockbehandlung unterzogen wurden. Der „Menschenrechtsverein“ ist die KVPM. „Das Gesetz über die Informationsfreiheit gibt jedem Berliner die Möglichkeit, Daten öffentlicher Einrichtungen einzusehen, wenn sie erfasst werden“, sagt die Sprecherin des Datenschutzbeauftragten. Deshalb unterstütze man die KVPM-Anfrage. „So gibt sich die KVPM einen seriösen Anstrich“, sagt Ursula Caberta. „Die Berliner werden denken: Die arbeiten mit einer staatlichen Stelle zusammen, also kann das ja nicht gefährlich sein.“

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