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Berlin: Sechs Quadratmeter Heimat

Spandau sanktioniert Ausländer mit Heim-Einweisung. So lebt es sich dort

Draußen hängen Deutschlandflaggen aus dem Fenster. Drinnen hat ein Heimbewohner seinen Namen handschriftlich an die Spindtür geschrieben: „Ich“.

Wie viel hängt an so einem kleinen Wort: Es sind Geschichten politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Not, Folter, Vertreibung. 414 Flüchtlinge und Asylbewerber, die schon eine Duldung besitzen oder deren Verfahren noch läuft, sind derzeit in der „Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber“ an der Motardstraße in Spandau zu Hause. Die Berliner Zentralstelle wird vom Kreisverband Mitte der Arbeiterwohlfahrt betrieben. Die Häuser in Container-Plattenbauweise liegen im Industriegebiet Siemensstadt, dort nahm man einst DDR-Flüchtlinge auf.

Spandau will jetzt jene Flüchtlinge dorthin schicken, die den Behörden bei der Feststellung ihrer Herkunft und Identität nicht behilflich sind. Weil sie nicht zurückgeschickt werden wollen. Der Heimaufenthalt statt der vom Sozialamt bezahlten Wohnung soll ihnen als Sanktion auf die Sprünge helfen. Andere Bezirke wie Marzahn-Hellersdorf machen das schon lange. Manchmal sind es aber die Botschaften, etwa von Vietnam, Syrien oder dem Libanon, die gar keine Pässe ausstellen, weiß der Flüchtlingsrat.

Es surrt, der Wachmann öffnet. Fünf Hausblöcke mit bis zu 125 Plätzen gibt es, in jedem hilft ein Sozialarbeiter beim Ausfüllen der vielen Formulare. Es sind meist alleinstehende Männer aus derzeit 44 Nationen, die mal eine Nacht, mal drei Monate in den Zwei- bis Dreibettzimmern leben. Sechs Quadratmeter stehen jedem zu. Die Betten haben meist Stahlrahmen, der hält bei der Fluktuation länger als Holz, sagt Heimleiterin Marlies Baier. Bosnische Familien tragen gern die Gestelle heraus und machen es sich auf den Matratzen gemütlich, so wie sie es von zu Hause kennen. Es gibt auch ein Kinderspielzimmer, Gratis-Deutschunterricht, Gemeinschaftsküchen.

An die Lebensbedingungen in Nordeuropa müssen sich viele erst gewöhnen. Da geht viel kaputt, weil sich Stehklos gewohnte Asiaten auf die Toilettenbrille stellen oder den Deckel des Wasserkastens hochnehmen, um Wasserflaschen, die sie statt Toilettenpapier benutzen , zu befüllen. Weil kurzzeitige Gäste gern Teller oder Frotteetücher mitnahmen, gibt es – aber nur für sie – Plastikgeschirr und ein einfaches Handtuch. Die Vollverpflegung, mit der Spandaus Sozialstadtrat den Unwilligen droht, holen sich die meisten Flüchtlinge mit einem Dankeschön ab: frische Brötchen, Honig, Aufschnitt. Mittags gibt es den Muslimen zuliebe kein Schweinefleisch, aber dafür auch Vegetarisches. Ob das Prinzip der Sanktionierung funktionieren wird? Heimleiterin Baier verwahrt sich jedenfalls dagegen, ihr Haus als „Straflager“ abzutun.

Wer in der Branche tätig ist, weiß: Die „zur Erziehung“ Überwiesenen sind oft Männer arabischer Herkunft. Sie sind dann recht missmutig, bringen den Müll nicht mehr runter. Manch einer geht plötzlich doch zur Botschaft oder kehrt freiwillig zurück. Andere tauchen unter. Es gibt aber auch Menschen, die wollen das Heim gar nicht verlassen. Und bedanken sich beim Auszug mit Diener und Postkarte für die schöne Zeit.

Annette Kögel

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