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Berlin: Selbstmord vor Publikum

Junge Frau irrte minutenlang über U-Bahnsteig und sprang vor einen Zug, Fahrgäste und nach Zeugenaussagen auch BVG-Mitarbeiter sahen zu

Unter mysteriösen Umständen hat sich auf dem U-Bahnhof Bismarckstraße eine junge Frau das Leben genommen. Nur mit Netzstrumpfhose, Stiefeln und einem dünnen Pullover bekleidet, lief die 25 bis 30 Jahre alte Frau völlig verwirrt auf dem Bahnsteig herum und stürzte sich dann vor einen Zug. Der Bahnsteig war zu dieser Zeit voller Menschen, wie Augenzeugen dem Tagesspiegel berichteten. Auch Mitarbeiter der BVG seien anwesend gewesen, hätten aber nicht eingegriffen. Die Frau konnte von der Polizei noch nicht identifiziert werden, obwohl sich der Vorfall bereits am Montagmittag ereignet hatte.

„Ich dachte, die springt gleich vor den Zug“, sagt Regina H., die das Geschehen vom gegenüberliegenden Gleis aus beobachtete. Die Frau sei mit großen Schritten und rudernden Armen minutenlang über den Bahnsteig geeilt. Die Umstehenden mokierten sich, lachten, sahen aber offenbar keinen Anlass einzugreifen. Vor einem älteren Mann stoppte die Frau kurz und legte sich mit ausgestreckten Armen auf den Rücken. Als er wegging, raffte sie sich wieder auf und irrte schweigend weiter. „Alle sind ihr ausgewichen“, erzählt Sven R., der sich in der Nähe der Frau aufhielt. „Sie sah aus, als hätte sie Drogen genommen.“ Als die U-Bahn einfuhr, sei die Frau plötzlich an die Bahnsteigkante gegangen und habe sich fallen gelassen.

Auf dem Bahnsteig seien auch BVG-Mitarbeiter gewesen, so Sven R.. Sie hätten sich wie einige der wartenden Fahrgäste über die Frau lustig gemacht, aber nicht eingegriffen. Nach Auskunft der Polizei setzten sich zwei Fahrgäste unmittelbar vor dem tödlichen Sprung mit dem Bahnhofspersonal in Verbindung. Zu diesem Zeitpunkt sei es aber schon zu spät gewesen. Deshalb wurde kein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet.

BVG-Sprecherin Barbara Mansfield konnte gestern nicht bestätigen, dass BVG-Mitarbeiter vor Ort waren. Wenn eine Person erkennbar einen Suizid plane, sei das Personal natürlich angewiesen einzugreifen. „Das gilt aber auch generell für jeden Bürger“, sagte Mansfield. Die Mitarbeiter der U-Bahn seien für solche Fälle geschult. Es gebe bestimmte Merkmale, an denen man suizidgefährdete Personen erkennen könne. Welche Merkmale dies sind, wollte Mansfield nicht sagen. Mit solchen Details würde man potenziellen Selbstmördern die Chance geben, ihr Vorhaben zu kaschieren.

Im vergangenen Jahr verzeichnetete die BVG 14 Selbstmorde und 34 Selbstmordversuche. 19 Mal konnte ein Freitod verhindert werden, weil Personal oder Fahrgäste eingriffen. Im Vergleich zu früheren Jahren seien 2002 weniger Suizide vorgekommen, so Mansfield. Die U-Bahnfahrer – in diesem Fall war es offenbar eine Fahrerin – werden nach einem tödlichen Unfall psychologisch betreut und von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Wenn sie es wünschen, können sie andere Tätigkeiten bei der BVG übernehmen.

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