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Berlin: „Sie werden beschimpft und angegriffen“

Unmotiviert, überaltert und schlecht bezahlt – warum die Neuköllner Verwaltung den höchsten Krankenstand aller Bezirke hat

Die Berliner sind öfter und länger krank als der Rest der Republik. Am meisten und am längsten fehlen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bei der Arbeit. Seit vielen Jahren berichten dies die Krankenkassen. Wirksame Therapien gibt es nicht. Das Bezirksamt Neukölln verzeichnet seit längerem den Rekordkrankenstand von rund 15 Prozent im öffentlichen Dienst. Stadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) spricht über die Gründe, warum in seiner Verwaltung ständig jeder siebte Mitarbeiter fehlt.

Herr Schimmang, im Bezirksamt Neukölln ist der Krankenstand besonders hoch. Ist das bloß ein Zufall?

Neukölln hat, bezogen auf die Einwohnerzahl, die wenigsten Mitarbeiter aller Bezirksämter. Die Arbeitsintensität ist also besonders hoch. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren vom Senat auch jährlich etwa 60 zusätzliche Stellen bewilligt bekommen. Außerdem hatten wir in den vergangenen Jahren so gut wie keine Neueinstellung. Unsere Mitarbeiter sind im Durchschnitt deutlich älter als in der sogenannten freien Wirtschaft oder anderen Verwaltungen. Und wer älter ist, ist bedauerlicherweise auch öfter mal krank. Noch etwas kommt hinzu: Wer weniger verdient, geht auch nicht so leicht in den Vorruhestand, weil er es sich nicht leisten kann. Deshalb bleibt die Alterspyramide unserer Mitarbeiter so, wie sie ist.

Ist die Arbeit in Neukölln anstrengender als anderswo?

Was sich manche Mitarbeiter der Jugendhilfe und eines der größten Sozialämter Deutschlands anhören müssen, führt nicht zu einer hohen Motivation. Sie müssen sich anbrüllen lassen, werden beschimpft und angegriffen. Auch das führt zu Fehlzeiten.

In der Privatwirtschaft ist es so: Je schlechter die Lage auf dem Arbeitsmarkt, desto weniger sind die Leute krank…

Völlig richtig.

…warum ist das im öffentliche Dienst anders?

In der Wirtschaft schleppen sich viele Leute trotz Krankheit zum Dienst – der sichere Arbeitsplatz lässt es dagegen eher zu, dass jemand seine Krankheit auskuriert oder einfach fehlt. Ich kenne aber auch aus 33 Jahren im öffentlichen Dienst viele Menschen mit schweren Krankheiten – Krebs, Multiple Sklerose – die arbeiten gehen, aus Pflichtgefühl und um ihre Krankheit zu vergessen oder weil sie anderen helfen wollen. Das gibt es eben auch.

Was können Sie tun, um den Krankenstand zu senken?

Ich hätte keine Probleme damit, Prüfer zu besonders auffälligen Mitarbeitern zu schicken. So würden wir diejenigen finden, die nicht wirklich krank sind. Und wir würden dem Vorurteil entgegenwirken, wir täten nichts und der öffentliche Dienst sei ohnehin faul. Aber dazu fehlt die gesetzliche Grundlage. Wir betreiben ein Gesundheitsmanagement, um zu prüfen, ob der Arbeitsplatz oder das Arbeitsgebiet nicht in Ordnung sind oder vielleicht der Vorgesetzte nicht richtig funktioniert. Dann fehlen die Leute nicht wegen irgendwelcher Querelen, die es in jeder Verwaltung gibt. Außerdem versuchen wir, ein Klima zu schaffen, indem man es als kollegiale Pflicht empfindet, zur Arbeit zu kommen. Aber das ist zum Beispiel im Sozialamt, wo Mitarbeiter bespuckt und angepöbelt werden, nicht so leicht, wenn man gesundheitlich bereits angegriffen ist.

Die Fragen stellte Werner van Bebber

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