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Computer in einer Grundschule in Bayern

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Sozialgericht Berlin: Schulen müssen Schülern Computer stellen

Eine Mutter beantragt beim Jobcenter, ihrem Sohn einen PC für die Hausaufgaben zu finanzieren. Das Gericht sieht das Gymnasium in der Pflicht.

Von Fatina Keilani

Muss das Jobcenter einem Schüler den Computer finanzieren, wenn dieser ihn für seine Hausaufgaben braucht? Mit dieser Frage befasste sich am Mittwoch das Sozialgericht. Urteilen musste es nicht.

Selma T. (Name geändert) ist alleinerziehend und bezieht Hartz IV. Ihr Sohn Erdal (Name geändert) besucht die sechste Klasse des Goethe-Gymnasiums in Wilmersdorf. Um einen Computer vom Jobcenter bezahlt zu bekommen, ließ sich Selma T. vom Schulleiter bescheinigen, dass ein Computer für zuhause dringend erforderlich sei. In der Schule gebe es zwar einen Computerraum, der aber nur unter Aufsicht und nur für das Arbeiten in der Schule genutzt werden dürfe.

Das Jobcenter lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für den Computer ab. Es sei nicht zuständig. Vielmehr sei die Schule verpflichtet, einen solchen Computer als kostenloses Lernmittel zur Verfügung zu stellen.

Um den Zuständigkeitsstreit zu klären, lud das Gericht Vertreter der Bildungsverwaltung zur mündlichen Verhandlung, außerdem wurde Schulleiter Jörg Freese als Zeuge geladen.

„Warum haben Sie denn diese Bescheinigung ausgestellt?“, wollte Richter Michael Kanert wissen. Er war früher Pressesprecher des Gerichts, er weiß, wie man einen Fall interessant macht. Er wirft Folien an die Wand, erklärt das deutsche Sozialsystem, das zwar eigentlich lückenlos sein solle, aber dennoch Lücken habe. „Ich wurde um die Bescheinigung gebeten“, sagt Freese. „Es entspricht meiner Überzeugung, dass Schüler das Arbeiten am Computer lernen sollen.“

Heute gehört ein Laptop mit Netzzugang zur häuslichen Grundausstattung, auch bei Zuwendungsempfängern, und sollte vom Jobcenter finanziert bzw. bezuschusst werden, auch wenn Papa darauf Pornos guckt und Mama nach neuen Schuhen.

schreibt NutzerIn crossoverhill

"Warum stellen Sie nicht ein paar Laptops rüber?"

Freese beschreibt, dass die Schule zum Teil bis 17 Uhr Unterricht mache, für die jüngeren Schüler bis 14.30 Uhr, und dass sie dann bis 16 Uhr Hausaufgabenbetreuung hätten, freiwillig, also offener Ganztag. Dort gebe es aber keine PCs. „Warum nicht? Warum stellen Sie nicht nachmittags ein paar Laptops da rein?“, fragt Kanert. Zumal es dort drei Aufsichtspersonen gebe und sich Freese zuvor darauf berufen hatte, man müsse die Schüler bei der PC-Nutzung beaufsichtigen.

Kanert fragt und fragt. Er sieht das „Abschiebekarussell“ am Werk, also das Wegschieben von Zuständigkeit und Verantwortung. Das Schulgesetz regele, dass die Schule Unterrichtsmaterial „einschließlich der Informations- und Kommunikationstechnik“ zu stellen habe.

Mit anderen Worten: Statt eine Bescheinigung zu schreiben, hätte Freese sich selbst als zuständig erkennen müssen. Endlich hat Kanert ihn soweit: „Wenn der Kläger sagt: ,Ich brauche einen Computer für meine Hausaufgaben‘, dann bekommt er ihn auch“, legt sich der Direktor endlich fest, und sagt am Schluss: „Sie können davon ausgehen, dass der Kläger ab morgen einen PC im Rahmen der Hausaufgabenbetreuung zur Verfügung hat.“

Anspruch auf Bildung ist Grundrecht für Kinder

Dann ist die Bildungsverwaltung dran. Ob das dann ein Fall für die Schulaufsicht sei, wenn es nicht passiere, will Kanert wissen. Der Senatsvertreter windet sich: „Wir haben ja jetzt die Eigenverantwortung der Schulen…“, aber Kanert nagelt ihn fest: Ob Freeses Aussage denn keine Zusicherung im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts sei?

Schon gut, lenkt der Senatsvertreter ein: „Wir würden als Schulaufsichtsbehörde sicherstellen, dass die Zusicherung erfüllt wird.“ An zu wenigen Computern wird es nicht scheitern. Die Vertreter der Senatsverwaltung hatten Zahlen mit: Das Gymnasium sei mit 78 Computern einschließlich Notebooks und mit 20 digitalen Tafeln, sogenannten Whiteboards, ausgestattet, an denen jeweils ein weiterer Computer hänge.

Richter Kanert betonte zum Schluss, dass es ein Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum gebe. Für Kinder bedeute dies insbesondere einen Anspruch auf Bildung. Zuständig sei im vorliegenden Fall die Schule. Die Jobcenter seien nur dann zu Leistungen verpflichtet, wenn es keine vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger gebe.

Nun hat der Junge aber immer noch keinen PC zuhause. Diese Frage blieb am Mittwoch offen: Gehören Computer heute zum Existenzminimum wie zum Beispiel Fernseher? Das müssen Gerichte oder der Gesetzgeber klären. Zu der Klage war es gekommen, weil Selma T. in der Zeitung gelesen hatte, dass das Jobcenter Hartz-IV-Empfängern den Computer bezahlt, bis 350 Euro. Am Ende der Verhandlung erklärte sie ihre Klage für erledigt.

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