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Am Freitag gibt Daniil Simkin sein Berlin-Debüt als Startänzer des Staatsballetts – in der Aufführung von „Onegin“.

© Thilo Rückeis

Staatsballett Berlin: Daniil Simkin ist der neue Star des Staatsballetts

Der 31-Jährige ist eine international gefeierte Koryphäe des Balletts. Was zieht ihn jetzt nach Berlin? Eine Begegnung mit einem Tänzer, der noch viel vorhat.

Von Sandra Luzina

Alle reißen sich derzeit um Daniil Simkin. Anfang August hat er als Erster Solist beim Staatsballett Berlin angefangen und schon diverse Interviews gegeben. Die Anfragen reißen nicht ab. Zwar hat ihn noch keiner tanzen sehen, aber Daniil Simkin hat Starappeal.

In den vergangenen zehn Jahren war er beim renommierten American Ballett Theatre (ABT) in New York engagiert, wo er sich vom Solisten rasch zum Principal Dancer hochgetanzt hat.

Aber was zieht eine international gefeierte Koryphäe nach Berlin, an eine Compagnie, die nicht mal zu den führenden deutschen Ensembles gehört? „Ich habe Deutschland vermisst – und Europa“, erzählt er. „Das Leben in Amerika ist anders, die Werte sind andere. Ich hatte eine wunderbare Zeit in New York. Ich lebte dort von 20 bis 30 – das optimale Alter. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dort alt zu werden.“ Das sagt einer, der noch viel vorhat; nächsten Monat wird er 31.

„Ich fühle mich zu slawischen Seelen hingezogen"

Erst am Wochenende ist Simkin von einer Ballett-Gala in Seoul zurückgekehrt. Am Dienstag steht er um 10 Uhr morgens schon wieder an der Stange im Ballettsaal der Deutschen Oper. Sein Stundenplan ist rappelvoll. Vor der Probe zu „Onegin“ gibt er ein erstes Interview, am Abend steht ein längeres Gespräch zum Thema Heimat auf dem Programm.

Der Tanzstar hat etwas verschmitzt Jungenhaftes – von Allüren keine Spur. Aufgewachsen ist der Sohn eines russischen Tänzerpaares in Deutschland. Seine Identität beschreibt er so: „Auch wenn ich mich als Deutscher fühle, fühle ich mich zu slawischen Seelen hingezogen. Da passt Berlin ziemlich gut, weil es die östlichste West-Metropole ist und der slawische kulturelle Einfluss hier am meisten zu spüren ist.“

Daniil Simkins Werdegang ist ungewöhnlich für einen Spitzentänzer, denn er hat nie eine akademische Ballettschule besucht. Geboren wurde er in Nowosibirsk; als er drei Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Wiesbaden. Schon mit fünf Jahren sammelte er erste Bühnenerfahrungen. Gemeinsam mit seinem Vater Dmitrij Simkin trat er jahrelang am Staatstheater Wiesbaden auf. Mit neun begann er seine Ballett-Ausbildung – unterrichtet wurde er von seiner Mutter Olga Aleksandrova.

Offensichtlich war sie eine gute Lehrerin, denn als Teenager gewann Simkin mehrere erste Preise bei wichtigen Ballett-Wettbewerben. Aus all dem könnte man leicht schlussfolgern, er sei das Produkt ehrgeiziger Ballett-Eltern. Er widerspricht: „Beide wollten mir die Option geben, später zu entscheiden, ob ich Balletttänzer werden will oder nicht. Sie haben mich nicht gezwungen.“

Neben dem Ballett hatte er aber noch andere Interessen. Er hat geturnt und wurde als Neunjähriger sogar hessischer Landesmeister im Geräteturnen. Mit 16 wusste Simkin, dass er Profi-Tänzer werden will. Seine Eltern bestanden darauf, dass er erst sein Abitur machte. Doch Daniil Simkin war ein Überflieger und konnte eine Klasse überspringen. Hat er denn nie aufbegehrt gegen die frühe Disziplinierung? „Ich hatte nie Zeit zu rebellieren, weil ich so beschäftigt war“, sagt er lächelnd.

Über New York sagt Simkin: „Ich habe alles aufgesaugt, was ich konnte“

Nun ist Daniil Simkin eines der Aushängeschilder des Staatsballett Berlin, das sich gerade neu erfindet. Die Intendanten Johannes Öhman und Sasha Waltz wollen künftig mehr zeitgenössische Produktionen zeigen, das klassische Ballett soll aber nicht vernachlässigt werden.

Mit der Verpflichtung von Simkin zeigen sie, dass sie es ernst meinen. Der ist überzeugt, dass das Experiment gelingt und freut sich auf neue Aufgaben. Beim ABT tanzte er alle großen klassischen Partien, auch viele Prinzenrollen. Bekannte Choreografen wie Alexei Ratmansky und Benjamin Millepied haben Rollen mit und für ihn kreiert.

„Ich habe alles aufgesaugt, was ich konnte“, fasst Simkin seine New York-Erfahrung zusammen. Mit Ratmansky, einem großen Kenner der russischen Tradition, wird er auch in Berlin arbeiten, wenn er den Klassiker „La Bayadère“ neu einrichtet. Sein Berlin-Debüt gibt er am Freitag, den 21. September, in „Onegin“, in John Crankos berühmten Ballett tanzt er den Dichter Lenski. „Ich finde es schön, dass ich mit einer Rolle anfangen kann, bei der es nicht nur um Bravura geht. Technik ist sicherlich meine Stärke. Aber ich möchte auch zeigen, dass ich in der darstellerischen Rollengestaltung Tiefe habe.“

Wenn man ihm bei den Proben zusieht, dann fällt nicht nur seine Virtuosität auf. Natürlich, seine Sprünge sind federleicht, seine Drehtechnik ist perfekt, seine Linie ist makellos. Aber er besitzt noch diese andere Qualität, die einen wahren Ballettstar auszeichnet: Sein Tanz ist beseelt bis in die Fingerspitzen. Zudem ist er ein aufmerksamer Partner. Er überlegt, wie er Evelina Godunova, die die Olga tanzt, in den Pas de deux am besten unterstützen unterstützen kann.

Zunächst wird Simkin die klassischen Rollen interpretieren, doch er sieht sich nicht nur als Ballettprinzen, ist offen für andere Stile. „Ich würde gern Zeitgenössisches tanzen. Das eine schließt das andere nicht aus.“Das sind klare Worte. Andere Tänzer befürchten, dass ihre Technik leidet, wenn sie mal was anderes als „Schwanensee“ tanzen.

„Ich habe es ins Berghain geschafft!“

Von früheren Tumulten beim Staatsballett ist derzeit nichts zu spüren. Dass es nach der Berufung von Sasha Waltz und Johannes Öhman zu Protesten der Tänzer kam, hat Simkin natürlich mitbekommen. Er bricht eine Lanze für die neuen Ballettchefs. „Ich kenne Johannes Öhman schon seit 12 Jahren. Ich habe bei ihm in Göteburg und Stockholm getanzt. Wir vertrauen uns. Ich mag auch die Arbeit von Sasha Waltz.“ Die neue Produktion „Exodos“ hat er sich schon angeschaut. In New York könne man so eine Vorstellung nicht sehen, weil dort alles viel kommerzieller sei, meint Simkin.

Auf eine besondere Berlin-Initiation angesprochen, erzählt er begeistert: „Ich habe es ins Berghain geschafft! Es ist schon ein besonderer Ort. Man fühlt, dass die Energie anders ist als in anderen Städten.“ Gerade mal sieben Wochen lebt Daniil Simkin jetzt in Berlin.

Er freut sich, dass sein Deutsch langsam zurückkommt, mittlerweile spricht er fließend mit wenigen englischen Einsprengseln. Das sei mit vielen Gefühlen verbunden, erzählt er, und rufe Erinnerungen an seine Kindheit wach. Es ist in jeder Hinsicht eine intensive Zeit für Simkin. Seine Entscheidung, einen Neuanfang in Berlin zu wagen, hat er bislang nicht bereut. „Es fühlt sich intuitiv als der richtige Schritt an. Neue künstlerische Herausforderungen, neue Stimuli, eine neue Umgebung, damit ich mich weiterentwickeln kann – auch als Person.“

Für die Vorstellung am Freitag um 19.30 Uhr gibt es nur noch wenige Karten über www.staatsballett-berlin.de oder telefonisch unter 206 092 630. Nächste Vorstellung am 19. Oktober.

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