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© Andreas Meyer

Filmarbeiten: Beinahe durchgedreht

Bei den vielen Filmarbeiten in der Stadt bringt man Wirklichkeit und Fiktion schon mal durcheinander. Jetzt geschah das am Bahnhof Friedrichstraße beim Thriller mit Liam Neeson – nicht zum ersten Mal.

Wie leicht Dreharbeiten mit der Realität zu verwechseln sind, bewies schon 1959 Heinz Erhardt in „Natürlich die Autofahrer“. Darin spielt er den Provinzpolizisten und bekennenden Nichtautofahrer Eberhard Dobermann, der plötzlich den Führerschein machen muss. Der Unterricht ist eine Katastrophe – bis Dobermann in eine Verfolgung von Bankräubern gerät und sein Jagdinstinkt geweckt wird: Die Gangster bremst er locker aus, streckt einen per Kinnhaken nieder. Allerdings, es waren Dreharbeiten.

So gesehen, sind die zu „Unknown White Male“ am Montag am Bahnhof Friedrichstraße noch einmal glimpflich ausgegangen. Kein Kinnhaken, nur Aufregung bei Passanten, die angesichts zahlreicher Feuerwehrwagen und künstlicher Rauchschwaden glaubten, im Bahnhof sei die Hölle los. Und dabei lief doch nur die Kamera zu dem Thriller mit Liam Neeson.

Solche Irritationen haben freilich in Berlin Tradition, und da die Stadt als Drehort nach wie vor ungemein populär ist, muss man damit immer wieder rechnen. Noch zu Mauerzeiten mimte das Rathaus Spandau beispielsweise einen Behördenbau jenseits der Grenze, wurde mit riesigen roten Fahnen dekoriert – nicht jeden Spandauer hat das erfreut. Ähnlich brisanten Fahnenschmuck, aus einer anderen politischen Ecke, gab es im Spätsommer 2007 vor der Messe am Hammarskjöldplatz zu besichtigen, wiederum blutrot in der Grundfarbe, dazu schwarz im weißen Kreis das Hakenkreuz: Dekoration für die Dreharbeiten zu „Valkyrie“, den Stauffenberg-Film mit Tom Cruise. Monatelang war die Stadt damals im cineastischen Ausnahmezustand, durch die Stauffenbergstraße schallten die Schüsse des Hinrichtungskommandos, sogar zweimal, weil es nach dem ersten Dreh Probleme mit dem Filmmaterial gab. Einen ähnlichen Fahnenwald hatte es schon 2003 für Jo Baiers ARD-Film „Stauffenberg“ in der Dorotheenstraße gegeben oder Anfang 2006 am Lustgarten, wo Dani Levy „Mein Führer“ drehte.

Die Berliner Behörden sind eben in der Genehmigung von Drehorten großzügig geworden, das loben Produzenten, Regisseure, Location Scouts immer wieder, während es Anfang der neunziger Jahre und vorher sowieso noch mühselig war, hier zu drehen. Aber jetzt mal kurz den Alexanderplatz sperren, um eine Verfolgungsjagd mit Matt Damon zu drehen wie 2004 für „Die Bourne-Verschwörung“ – kein Problem. Ein Jahr vorher wurde wochenlang der Gendarmenmarkt auf London umdekoriert – für die Actionkomödie „In 80 Tagen um die Welt“ mit Jackie Chan. Am drehfreien Wochenende waren die Kulissen beliebtes Ausflugsziel.

Sogar zentrale Straßen werden mittlerweile ohne großes Murren dichtgemacht, wenn Hollywood oder auch die deutschen Filmkollegen es wünschen. Im Herbst 2004 war es der westliche Kurfürstendamm, wo Dominik Graf Szenen für „Der Rote Kakadu“ drehte. Zwei Jahre später durfte Moritz Bleibtreu für „Free Rainer“ die Leipziger Straße blockieren, und als im Herbst 2008 die Bismarckstraße zwischen Wilmersdorfer und Leibnizstraße blockiert werden sollte, um für „Der Baader-Meinhof-Komplex“ die Studentenproteste zum Schah-Besuch 1967 zu drehen, ging auch das.

Die damit verbundenen Einschränkungen werden von betroffenen Autofahrern, Passanten und Anwohnern in der Regel ohne Protest geschluckt. Verwechslungen von Fiktion und Wirklichkeit wie jetzt am Bahnhof Friedrichstraße sind selten, aber es gibt sie immer mal wieder, schon seit der Frühgeschichte des Kinos. So war Erich Kästner irritiert, als er 1931 beim Besuch seines geliebten Cafés Josty in der heutigen Bundesallee plötzlich in der Nähe die Figuren aus seinem Roman „Emil und die Detektive“ sah. Erst allmählich dämmerte es ihm, das hier gerade sein Buch verfilmt wurde: „Ich ging und fand das Erlebnis ein bisschen unheimlich.“

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