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© Manfred Thomas

Wolfgang Joop: "Ich bin ein Seelenverwandter von Marlene"

Designer Wolfgang Joop sagt, dass er Schönheit entwerfe, um wie antike Kriegsherren den Gegner zu blenden. Dieser Gegner nenne sich heute Krise. Für das Tagesspiegel-Mode-Magazin "Look" hat er protokolliert, wie seine Entwürfe entstehen

Für Wunderkind verwandle ich Altes in Neues. Meine Recherche fängt mit bewährten und vertrauten Mustern an, die ich in einen völlig anderen Kontext bringe, um eine Irritation aus Vertrautem und Utopistischem zu schaffen. Wir stehen ja auch nicht vor einem Gemälde und sagen: Oh wie schön glatt, wie schön bunt, sondern: Wie irritierend, wie emotional berührend ist dieses Bild.

Gerade heute hat Mode viel mit Emotionen zu tun. Diese Krise stellt viele altbewährte Konzepte in Frage. Einige Händler, die Luxusmode führen, haben diesen Winter so wenig verkauft, dass sie aus Unsicherheit einen großen Teil der Bestellungen für den Sommer storniert haben.

Wenn das Sortiment zu clean war, hat es sich nicht verkauft, auch wenn die Presse von der neuen Klassik geschwärmt hat. Genau die wollte keiner, das haben wir in unseren eigenen Läden gesehen. Wir haben nur das Extremste verkauft und die Teile, mit denen man sich abheben kann, um die eigene Unabhängigkeit zu zeigen: Ich will einen tollen Tag erleben, wenn ich das Stück anhabe. Oder ich habe etwas Großartiges im Schrank, und ich kann es noch übermorgen herausholen. Dann sieht es noch toller aus, wenn es Patina bekommen hat. Und wenn es aus dem Trend gekippt ist, tragen es die anderen ganz bestimmt nicht mehr, dann komme ich ganz alleine damit um die Ecke.

Das sind im Moment die wichtigsten Argumente: Wie kann ich mich abheben? Und was gibt mir das Teil: Tröstet es mich? Schützt es, verändert es mich? Das ist bei Wunderkind erkennbar. Das habe ich in den achtziger Jahren von den japanischen Designern und auch von Helmut Lang gelernt: Das Kleid darf nicht komplett „gefinisht“ sein, es muss offen bleiben, so dass die Trägerin oder der Träger es in seiner Art und Weise zu Ende bringt – so viel Freiheit für die Individualität muss möglich sein.

Das ist das Drama des schaffenden Berufs, dass du das Alter für die Erfahrung brauchst und ein ganz junges, unbedenkliches Herz. Ich merke das in meiner Situation in geradezu grotesker Art und Weise. Ich stehe oben in meinem Atelier und versuche eine Kollektion zu machen, die bedenkenlos aussieht, und ich gehe eine Etage tiefer und sitze mit meinen Financiers und Controllern zusammen und habe nur Bedenken. Dieser Spagat zwischen Rationalität und Unbedenklichkeit ist schwierig.

Du musst ja erst mal die Formel haben, nach der deine Marke funktioniert. Und die Formel zu finden, ist der Stein der Weisen, dafür musst du in vielen Bereichen neugierig sein: im sozialen, im politischen, im weltgeschichtlichen, im kulturellen und in der Kunst. Du musst dir von allem holen. So setzen sich unsere extremen Bedürfnisse und Ängste zusammen.

Ich versuche, Wunderkind aus einer Zeit heraus zu entwerfen, die eigentlich voll Mangel war, da haben wir mit Freude Dinge getragen, halb selbst gemacht, halb geerbt, halb gefunden, wir waren ja die Generation der Flohmärkte, die Generation vor uns, die in den fünziger und sechziger Jahren, das waren die Erneuerer nach dem Krieg, die wären nie auf die Idee gekommen, auf den Flohmarkt zu gehen.

In den Siebzigern haben Yves Saint Laurent und Ossie Clark diese Welle in die Couture-Salons hineingetragen, die Flohmärkte zu erobern. Kleidung mit Erinnerung und mit Patina. Im Gegensatz zu dieser Zeit ist ja jetzt ein Frauenbild entstanden, als ob sie alle mit David Beckham verheiratet seien. Anscheinend braucht dieser Typus 45 Taschen und dazu 67 Sonnenbrillen, und dann können sie alle auf 45-Zentimeter-Absätzen laufen, und die Brüste sitzen unterm Kinn. In meiner Generation trug man keine Büstenhalter, das war tabu, man trug auch keine Unterwäsche, das war schon spießig.

Das war die Zeit, als die Boutiquen aufkamen, kleine Läden. Das Wichtigste war, dass wir nicht bürgerlich aussahen, keiner wollte das Chanelkostüm anziehen, denn das trug die Mutter. Keiner wollte Handtaschen schleppen, die paar Drogen hat man im Kleid versteckt, so war das.

Diese Art von Unbeschwertheit war auch Jugend, die ich versuche, in meine Sachen hinein zu bringen. Sie sehen nicht nach Retro aus, weil ich keinen Zeitpunkt zitiere. Ich habe dreißig Jahre Mode hinter mir, und ich habe auch meine eigene Modegeschichte. Ich weiß, was für eine Aura von einem von Hand eingesetzten Männerärmel ausgeht, wie schwanenflügelgleich ein richtiges Revers aussehen kann.

Ich habe im Sommer einen echten Männeranzug aus dem dünnsten Chiffon gefertigt, so dass alles instabil aussah, was eigentlich stabil sein sollte. Das ist ja Modegeschichte, die ich nicht erfunden habe, Marlene hat diese Dinge erfunden oder Greta Garbo, das sind die Frauenfiguren, deren Seelenverwandter ich bin. Wie die mit Dresscodes und Crossdressing umgegangen sind, das ist ultimativ, das kann ich nur zitieren.

Aber ich versuche nie, auf Sicherheit zu gehen, sondern immer auf Provokation. Ich habe mittlerweile ein Team, das ich genau kenne. Wenn ich meinem Schnittmacher eine Skizze gebe, weiß ich, was dabei herauskommt. Es ist schon Teil des Entwurfprozesses geworden. Ich bin wie ein Regisseur, der sein Ensemble hat. Mich erinnert das an Fassbinder, ich könnte ohne meine Hanna Schygulla, meine Sara Sperling gar nicht existieren.

Mein Vintageshop ist ein gutes Beispiel dafür, dass die abgelaufene Saison das Kleid nicht ruiniert. Dem kreativen Modell kann die Zeit nichts anhaben. Ich kalkuliere immer den Unfall mit ein, das Verblichene, Verschossene. Das ist der Charme der Kleidung, den ich damals gesucht habe – das Originale.

Wer nach Paris kommt, hat schon alles gesehen. Die wollen eigentlich nichts mehr sehen, die wollen nicht mehr beurteilen: Das ist aber ein schönes Kleid. Ein kommerzielles Konzept, so perfekt, wie Boss es macht, da kann man nicht meckern, das ist so unglaublich gekonnt, dass es einem auf die Nerven geht.

Nach Paris kommt man, um das Unvorhersehbare zu sehen. Ich versuche etwas darzustellen, das vom Laufsteg runter ins normale Leben treten kann. Ich verkaufe nur das, was ich auf dem Laufsteg zeige, umgekehrt wie ich es bei Joop gemacht habe. Und es gibt einen Trend, dass sich Leute direkt nach der Schau einklicken und Modell drei bestellen können. Es kommt die Zeit, wo die Mädels wieder Nummern in der Hand halten.

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