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© Mike Wolff

Karneval: Mer losse d’r Dom an der Taubenstraße

Schweine, Mönche, Schottenröcke und Bonner Beamte: Rosenmontag in Berlin wird vor allem im Gaffel-Haus in Mitte gefeiert. Ein Ortstermin.

Die Nase sitzt mitten auf der Stirn. Sie ist knallrosa und sieht aus wie eine Steckdose. „Es atmet sich ziemlich schlecht da durch“, sagt Miss Piggy lachend. Es ist Rosenmontag und deshalb hat sich die 51-jährige Rechtsanwaltsgehilfin Biene in ein großes weiches Plüschschwein verwandelt. Mit langen künstlichen blonden Locken, ebenso unechten Wimpern bis zur Nasenspitze, einem riesigen Hintern, schwabbeligem Bauch und fast schon obszönen Stoffbrustwarzen: „Im Karneval muss man nicht unbedingt schön sein.“

Schon mittags sitzt sie so verkleidet vor einem Kölsch im Lokal Gaffel-Haus an der Taubenstraße in Mitte. Das Gaffel-Haus ist in diesem Jahr anscheinend der Mittelpunkt der Berliner Karnevalsszene – wenn es so etwas denn gibt. Oder vielmehr die inoffizielle Berliner Dependance des Rheinischen Karnevals, schließlich ist es ein Ableger eines Lokals in Köln. Die Landesvertretungen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen feiern den Karneval in diesem Jahr nicht – dort konzentriert man sich auf die Berlinale. Auch in den Bundesministerien, die doch irgendwie aus dem Rheinland „stammen“, gibt es keine Spur von Karneval: Während die Mitarbeiter des Familienministeriums, die ihr Büro noch in Bonn haben, heute frei haben, ist für ihre Berliner Kollegen ein normaler Arbeitstag.

Und im Lokal „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm, das lange als Rheinländischer Karnevalsvorposten in Preußen galt, wird an diesem Rosenmontag wie immer einigermaßen still und ohne Kostüm zu Mittag gegessen. Nebenan in der Kneipe „Berliner Republik“ baut ein DJ gerade seine Anlage auf, ab dem Nachmittag soll auch dort gefeiert werden – sogar mit dem offiziellen Berliner Karnevalsprinzenpaar Andreas II. und Judith I. Aber noch ist es in dem Lokal leise und leer. Ganz anders im Gaffel-Haus: „Mer losse d’r Dom in Kölle“, grölen die Gäste den Karnevalsschlager mit, den der DJ in zerissener Stone-Washed-Jeans gerade aufgelegt hat. Jan, 50 und „im öffentlichen Dienst beschäftigt“, marschiert, schunkelt und dreht sich auf der Tanzfläche. Mal mit Partnerin, mal ohne. Die Falten seines Schottenrocks wippen im Takt, die Enden seiner prächtigen Narrenkappe auch. „Wir zeigen den Preußen, wie man richtig traditionell Karneval feiert“, sagt er in einer kurzen Tanzpause. Ach, kommt er aus Köln oder Bonn? „Nein, aus Berlin, aber meine Stiefmutter ist aus dem Rheinland und hat mich angesteckt.“ Er sei schon mal Adjutant eines Karnevalsprinzen gewesen, sagt er. Jedes Jahr nimmt er sich eine ganze Woche frei, um zu feiern. „Von Donnerstag bis Aschermittwoch und dann noch zwei Tage, um mich wieder an meinen Namen zu erinnern.“ Sonja, ebenfalls 50 und „Verwaltungsangestellte in einem Bundesministerium“, sitzt ihm gegenüber, singt fast automatisch „Kölle Alaaf“ mit und tippt dabei eine Nachricht in ihr Handy. Sie sei eine echte Rheinländerin, sagt sie dann stolz. Und erzählt, dass sie nach Berlin gekommen ist, als die Bundesregierung aus Bonn herzog. Zur Karnevalszeit sei das Heimweh besonders schlimm. Sie hat sich nur den Nachmittag zum Feiern freigenommen und kommt direkt aus dem Büro. Deshalb trägt sie als Kostüm nur Cowboyhut und Federboa zur normalen Straßenkleidung. Später kämen noch viele ihrer Kollegen, sagt sie. Überhaupt würden viele der närrischen Gäste im Gaffel-Haus für die Bundesregierung arbeiten.

Auch eine junge Frau im mehr als knappen Dirndl sagt, sie arbeite „im öffentlichen Dienst“ und warte gerade auf mindestens 50 Kollegen. Der Mönch, der im bürgerlichen Leben Polizist ist, gehört allerdings nicht dazu, sondern ist mit Miss Piggy gekommen. Er nimmt einen Schluck Kölsch: Mindestens 20 will er davon am Rosenmontag noch trinken: „ Das ist ja kein starkes Berliner Bier.“

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