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Orchester der Versöhnung: Spaß im Quartett

Helmut, Ludwig, Horst und Erhard sind das Streichquartett in Rainald Grebes Orchester der Versöhnung. Für die vier Männer um die 70 sind die Auftritte "das Verrückteste", was sie je gemacht haben.

Die Bratsche, das Cello und die beiden Geigen sitzen in ihrer engen Garderobe und wollen noch ein letztes Mal proben. In einer Stunde werden sie wieder auf der Bühne des Admiralspalasts sitzen, vor einem großen Publikum, im Auge des musikalischen Wahnsinns, wenn der Mann mit dem Federschmuck die Grausamkeit des Alltags in schwer verdauliche Schüttelreime packt. Aufgeregt sind sie nicht mehr. Dafür machen sie das schon zu lange. Über 40 Jahre. Sie sind nur etwas verunsichert. Weil der Mann mit dem Federschmuck, den sie hier nur „den Rainald“ nennen, „immer neue Dinge einstreut“, wie Helmut, die erste Geige sagt. Ludwig, die zweite Geige stimmt mit ein: „Wir müssen ständig darauf vorbereitet sein, dass er die Stichworte für unsere Einsätze verändert.“ Horst, das Cello, nickt: „Aber deshalb ist es nie langweilig.“ Er wartet kurz, schaut hinüber zu Erhard, der Bratsche, die bis hierhin geschwiegen hat, als wäre sie verstimmt. „Hm“, brummt die Bratsche. Ein kurzer Blick und das Quartett lässt die Bogen über die Saiten gleiten. Vivaldi. So wie später, wenn sie ihren Einsatz finden.

Helmut, Ludwig, Horst und Erhard sind das Streichquartett in Rainald Grebes Orchester der Versöhnung. Vier Männer um die 70, die auf der Bühne zuerst den Eindruck erwecken, als hätten sie sich verirrt, als seien sie von ihrer Reisegruppe getrennt worden. Doch, sobald sie zu ihren Instrumenten greifen, sofort Teil des Theaters sind.

Während Rainald Grebe singt, doziert, aus den Ferien erzählt und ganz nebenbei einen Rhythmus entfesselt, den man nicht vom Blatt spielen kann, warten sie im Halbschatten auf einen Einsatz, der nicht zu kommen scheint, bis sie, auf ein kaum wahrnehmbares Handzeichen des Orchestrators aus ihrer verordneten Lethargie erwachen.

In dieser Sekunde werden die vier Senioren, die bis dahin nur Teil der Kulisse waren, Denkmäler eines vergangenen Jahrhunderts, zu den Musikern, die aus einer Kapelle ein Orchester machen. Ihre Instrumente klingen und das Publikum tost im Beifall. Eine kurze Verbeugung. Und sie erschlaffen wieder, warten mit hängenden Gliedern, wie Marionetten, denen man die Fäden durchtrennt hat.

"Er meinte, wir könnten hier mitmachen"

Wenn sie spielen dürfen, verleihen sie dem Orchester der Versöhnung eine melancholische Tiefe, ohne die der Zirkus nur Zirkus wäre und sind deshalb kaum noch wegzudenken aus Grebes dadaistischem Musical. Dabei sind die vier Kammermusiker, die bereits im Admiralspalast gespielt haben, als der Admiralspalast noch Metropoltheater hieß, eher zufällig zu Grebes Orchester gestoßen. Denn Rainald Grebe gehörte bei keinem der Streicher zum Standardrepertoire, nur Brandenburg, diese Hymne über das Sterben einer Region, hatten sie schon einmal gehört. Im Radio. Ein Freund, mit dem Helmut, die erste Geige, jahrelang im Grand Hotel Kammermusik gespielt hatte, stellte den Kontakt her.

„Er meinte, wir könnten hier mitmachen“, erinnert sich Helmut. „Da waren wir zuerst erstaunt, weil wir uns bewusst waren, dass die das hier alles ohne Noten spielen.“ Bei Grebe wird der Soundteppich aus dem Gedächtnis gewebt. „Aber das geht hier nicht. Diese Sätze“, erklärt Helmut und wedelt mit einem Notenblatt, „die müssen funktionieren, harmonieren. Wir können nicht improvisieren.“ Und Erhard, der weiter beharrlich geschwiegen hat, ergänzt: „Wir können nicht alle was vor uns hindudeln.“ Die anderen nicken im Kanon. Die Ordnung, die sie beim Spielen einhalten, gerät in der Garderobe durcheinander. Ihre Stimmen überlagern sich, weil jeder seine Geschichte erzählen will, die eigentlich ihre ist, weil sich die Lebensläufe ähneln. Alle sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen, irgendwann nach Berlin gekommen und geblieben, weil sie hier ihre musikalische Heimat gefunden haben. Helmut und Erhard im Berliner Sinfonie-Orchester, Horst in der Staatskapelle und Ludwig an der Komischen Oper. Kennen gelernt haben sie sich schließlich in der Berlin Sinfonietta, einem der traditionsreichsten Kammerorchester Berlins, das sich bis heute aus Musikern verschiedener Berliner Orchester zusammensetzt. Und spielen nun seit „einer halben Ewigkeit“ zusammen.

Die Auftritte mit dem Orchester der Versöhnung sind dennoch „das Wildeste“, was sie je gemacht hätten, sagt Helmut. „Das Verrückteste“, sagen die anderen. Nach anfänglichen Zweifeln haben sie nun auch ihren Platz gefunden. Auf der Bühne, im Ablauf der Show.

„Es war für uns wichtig, dass wir nicht nur Statisten sind. Wir haben immer wieder eine schöne Melodie. Den Mozart oder den Vivaldi“, erklärt Helmut, der den Taktstock des Gesprächs an sich gerissen hat, mit großen Gesten spricht. So haben sie das Gefühl, nicht überflüssig zu sein. Denn: „Das wäre uns unangenehm“, meint Horst, das Cello. Sehr unangenehm, sagt auch Erhards Gesicht. „Wir haben unsere Bedeutung und wir finden das auch sehr lustig, wie er mit unserem Alter spielt.“ Denn, auch wenn sie meist über die Bühne schleichen, als wären sie die Gralshüter der Ernsthaftigkeit, sind sie doch immer wieder der Sidekick für Rainald Grebe, vier Helmut Zerletts für einen Harald Schmidt am Klavier. Eine Projektionsfläche für demographische Füllwitze, wenn der Show der lange Atem auszugehen droht. Ob sie noch im Heim wohnten, fragt "der Rainald" dann, oder schon in der Residenz. Und als Helmut vor ein paar Tagen 71 wurde, da hat die Band ihm ein Ständchen gespielt, „mit viel Tammtamm und plötzlich haben alle ‚Bergfest, Bergfest’ geschrieen“, erzählt Helmut und schreit dann auch „Bergfest, Bergfest“. Fast fällt sein Geigenkoffer vom Sofa. „Das ist auch nie verletzend, sondern lustig“, findet Horst und fängt zu lachen an, Dabei hält er sich seinen Brustkorb, als würde es ihn sonst zerreißen. “Lustig”, sagt jetzt auch Ludwig. Ja, ja, lustig, nichtsagt die Bratsche und schweigt.

Wichtig ist ihnen aber auch, dass ihre Musik in diesem ganzen Spaß nicht untergeht. „Der Streicher-Sound gibt ja einen Kontrast zu diesem harten Rock“, sagt Ludwig. „Er gibt ein schönes, weiches...“, Ludwig denkt nach, bis Helmut den Gedankengang für ihn beendet: „Polster“. Sie kennen eben ihre Sätze.

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