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Start der Kältehilfesaison in Berlin: „Es ist dramatisch, dass eine Gesellschaft wie unsere Menschen auf der Straße verfaulen lässt“
Am 1. November startet die Wintersaison der Berliner Obdachlosenhilfe. Dramatisch sei vor allem, dass es keine Plätze für mobilitätseingeschränkte Menschen gibt, sagen Mitarbeiter der Stadtmission.
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Die Geschichte der Berliner Kältebusse begann tragisch: 1994 erfror ein Obdachloser, der keine Kraft mehr hatte, eine Notunterkunft aufzusuchen. Drei Mitarbeiter:innen der Berliner Stadtmission, Karen Holzinger, Ulrich Neugebauer und Gunnar Fiedler, wollten das nicht hinnehmen: Sie fuhren einfach mit einem Bulli los in die Winternacht. „Wir haben uns damals gefragt: Was passiert eigentlich mit den obdachlosen Menschen, die es nicht zu uns in die Einrichtung schaffen?“, sagte Holzinger am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.
Die Idee setzte sich schnell durch: Nachdem der Tagesspiegel-Spendenverein 1996 den ersten richtigen Kältebus ermöglicht hatte, blickt das Projekt nun auf mittlerweile 30 Jahre zurück. In der vergangenen Wintersaison hat das Team nach eigenen Angaben 3.586 Menschen angesprochen, die eine kalte Nacht auf der Straße verbringen mussten. In knapp 1600 Fällen hat der Bus sie in eine Notunterkunft gebracht, an einen warmen und vor allem auch geschützten Ort.
Ab dem 1. November, dem offiziellen Start der Kältehilfesaison, sind die mittlerweile drei Busse auch in diesem Winter wieder jede Nacht in Berlin unterwegs. Das Prinzip hat sich dabei in all den Jahren nicht verändert: „Es geht nicht darum, den Menschen einen Lebensstil aufzuzwingen, sondern um ein Hilfsangebot“, sagte Holzinger. Die obdachlosen Menschen könnten die Unterstützung auch ablehnen. Die Erfahrung zeige aber, dass über mehrere Kontaktversuche oft langsam ein Vertrauensverhältnis entstehe.
Neben der Stadtmission haben mittlerweile auch andere Einrichtungen ähnliche Hilfsangebote gestartet: So geht ab Freitag auch der Wärmebus des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf Tour. Die Busse bringen die Menschen, so sie denn wollen, zu einem der 1050 Kältehilfeplätze, die in Berlin in diesem Winter zur Verfügung stehen. Aufgrund der schwierigen Haushaltslage wird der Kältebus in diesem Jahr erstmals ausschließlich aus Spenden finanziert.
Sowohl Stadtmission als auch DRK rechnen in diesem Winter mit einem deutlich erhöhten Bedarf: Das DRK verweist auf die gestiegene Anzahl der Geflüchteten in der Stadt, die sich auch auf die Obdachlosenzahlen auswirke. Auch bei der Stadtmission spricht man von einer „stark veränderten Klientel“: Konnte die Einrichtung früher viele obdachlosen Menschen in reguläre Hilfssysteme vermitteln, sei das mittlerweile kaum noch möglich. Denn rund drei Viertel der Obdachlosen hätten keinen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen, vor allem weil sie keinen deutschen Pass haben. Damit fallen sie durch alle Netze.
Dass wir auch diesen Winter keine Plätze für diese Menschen finden, ist ein ganz großer Skandal, der mir das Herz bricht.
Ulrich Neugebauer, Mitbegründer des Kältebusses bei der Stadtmission, über Obdachlose mit Rollstuhl
Ein besonderes Problem seien Menschen mit eingeschränkter Mobilität, die im Rollstuhl sitzen oder auf Rollatoren angewiesen sind: Auch hier steige die Zahl immer weiter an, sagte Ulrich Neugebauer. Allerdings gebe es in Berlin keine einzige barrierefreie Notunterkunft – und die Einrichtungen würden auch gar nicht über das notwendige Personal verfügen, um die Menschen medizinisch und pflegerisch zu versorgen.
Die Konsequenz sei, dass die Kältebusse Menschen im Rollstuhl meist auf der Straße lassen müssten und nur vor Ort versorgen könnten. „Dass wir auch diesen Winter keine Plätze für diese Menschen finden, ist ein ganz großer Skandal, der mir das Herz bricht“, sagte Neugebauer.
Barbara Breuer, Sprecherin der Stadtmission, berichtete vom Fall eines Mannes, der keine Beine mehr habe und der kaum medizinisch versorgt werde. „Es ist dramatisch, dass eine reiche Gesellschaft wie unsere Menschen auf der Straße verfaulen lässt“, sagte Breuer.
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